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pp. 110-117
Wir haben in den Ausführungen des letzten Kapitels vorzugsweise den Satz des Widerspruchs zugrunde gelegt, weil gerade bei diesem, wie bei den Grundsätzen überhaupt, die Versuchung zur
psychologistischen Auffassung sehr groß ist. Die Gedankenmotive, die zu ihr hindrängen, haben in der Tat einen starken Anstrich von Selbstverständlichkeit. Überdies läßt man sich auf die spezielle Durchführung der empiristischen Doktrin bei den Schlußgesetzen seltener ein; vermöge ihrer Reduktibilität auf die
Grundsätze glaubt man bei ihnen jeder weiteren Bemühung enthoben zu sein. Sind diese Axiome psychologische Gesetze, und sind die syllogistischen Gesetze rein deduktive Konsequenzen der Axiome, dann müssen auch die syllogistischen Gesetze als psychologische gelten. Man sollte nun meinen, daß jeder Fehl
Schluß eine entscheidende Gegeninstanz abgeben müsse, und daß also aus dieser Deduktion vielmehr ein Argument gegen die Möglichkeit jeder psychologischen Deutung der Axiome zu entnehmen sei. Man sollte ferner meinen, daß die nötige Sorgsamkeit in der gedanklichen und sprachlichen Fixierung des prätendierten
psychologischen Gehalts der Axiome den Empiristen überzeugen müßte, daß sie in solcher Interpretation auch nicht den kleinsten Beitrag zum Beweise der Schlußformeln leisten können, und daß, wo immer solch ein Beweis statthat, die Ausgangspunkte ebenso wie die Endpunkte den Charakter von Gesetzen haben, die von
hat, nimmt an der Existenz von Fehlschlüssen so wenig Anstoß, daß er in der Möglichkeit, einen Fehlschluß nachzuweisen, sogar eine Bestätigung der psychologischen Auffassung sieht; denn dieser Nachweis bestehe nicht darin, denjenigen, der noch nicht nach dem Satze des Widerspruchs denke, eines Besseren zu be
lehren, sondern darin, den im Fehlschluß unvermerkt begangenen Widerspruch aufzuzeigen. Man möchte hier fragen, ob unbemerkte Widersprüche nicht auch Widersprüche sind, und ob das logische Prinzip nur die Unvereinbarkeit bemerkter Widersprüche aussage, während es bei unbemerkten zulasse, daß sie zusammen
wahr seien. Es ist wieder klar — man denke nur an den Unterschied der psychologischen und logischen Unvereinbarkeit — daß wir uns in der trüben Sphäre der schon besprochenen Äquivokationen herumtreiben.
Wollte man noch sagen, die Rede von "unvermerkten" Wider
sprüchen, die der Fehlschluß enthalte, sei eine uneigentliche; erst im Verlaufe des widerlegenden Gedankenganges trete der Widerspruch als Neues auf, er stelle sich als Folge der irrigen Schlußweise ein und daran knüpfte sich (immer psychologisch verstanden) die weitere Folge, daß wir uns nun auch genötigt sehen, diese
Schlußweise als irrig zu verwerfen — so wäre uns wenig gedient. Die eine Gedankenbewegung hat diesen, eine andere wieder einen anderen Erfolg. Kein psychologisches Gesetz bindet die "Widerlegung" an den Fehlschluß. Jedenfalls tritt er in unzähligen Fällen ohne sie auf und behauptet sich in der Überzeugung. Wie
kommt also gerade die eine Gedankenbewegung, die sich nur unter gewissen psychischen Umständen an den Trugschluß anknüpft, zu dem Rechte, ihm einen Widerspruch schlechthin zuzuschieben, und ihm nicht bloß die "Gültigkeit" unter diesen Umständen, sondern die objektive, absolute Gültigkeit abzu
streiten? Genau ebenso
tion als absolute Normen des richtigen und falschen Urteilens, zum Verständnis zu bringen. Wie oft ist dieser Einwand erhoben, wie oft ist bemerkt worden, daß die Identifikation von logischem und psychologischem Gesetz auch jeden Unterschied zwischen richtigem und irrigem Denken aufhöbe, da die irrigen Urteils
weisen nicht minder nach psychologischen Gesetzen erfolgen als die richtigen. Oder sollten wir, etwa auf Grund einer willkürlichen Konvention, die Ergebnisse gewisser Gesetzlichkeiten als richtig, diejenigen anderer als irrig bezeichnen? Was antwortet der Empirist auf solche Einwände? "Allerdings strebt das auf Wahrheit
gerichtete Denken darnach, widerspruchslose Gedankenverbindungen zu erzeugen; aber der Wert dieser widerspruchslosen Gedankenverbindungen liegt doch eben wieder in dem Umstande, daß tatsächlich nur das Widerspruchslose bejaht werden kann, daß also der Satz des Widerspruchs ein Naturgesetz des Denkens
ist."
dem hier die Rede ist. Oder ist es ein besseres Argument, wenn man sagt: "Wir haben keinen einzigen
zeitig zu bejahen. Man versuche es nun, unabhängig von dieser Tatsache zu beweisen, daß nur das Widerspruchslose bejaht werden darf: man wird immer wieder, um den Beweis führen zu können, das zu Beweisende voraussetzen müssen" (a.a.O., S. 69f.). Man erkennt ohne weiteres die Wirksamkeit der oben
analysierten Äquivokationen: die Einsicht in das logische Gesetz,
Überzeugung, exakte und empirische Allgemeinheit, logische Unverträglichkeit der Sachverhalte und psychologische Unverträglichkeit der Glaubensakte, also Nicht-zusammen-wahrsein-können und Nicht-zugleich-glauben-können fließen in eins zusammen.
Die Lehre, daß die Schlußformeln "empirische Gesetze des Denkens" ausdrücken, versucht Heymans durch den Vergleich mit den chemischen Formeln plausibler zu machen. "Genau so, wie in der chemischen Formel 2H2 + O2 = 2H20 nur die allgemeine Tatsache zum Ausdruck kommt, daß zwei Volumen Wasser
stoff mit einem Volumen Sauerstoff sich unter geeigneten Umständen zu zwei Volumen Wasser verbinden, — genau so sagt die logische Formel
MaX + MaY = YiX + XiY
nur aus, daß zwei allgemein bejahende Urteile mit gemeinschaft
lichem Subjektbegriff unter geeigneten Umständen im Bewußtsein zwei neue partikulär bejahende Urteile erzeugen, in denen die Prädikatbegriffe der ursprünglichen Urteile als Prädikat- und Subjektbegriff auftreten. Warum in diesem Falle
MeX + MeY nicht, davon wissen wir zurzeit noch nichts. Von der unerschütterlichen Notwendigkeit aber, welche diese Verhältnisse beherrscht, und welche, wenn die Prämissen zugegeben sind, uns zwingt, auch die Schlußfolgerung für wahr zu halten, möge man sich durch Wiederholung der ... Experimente über
zeugen."
nauigkeit und Vollständigkeit notieren.
Was uns bei dieser Auffassung überrascht, ist die Behauptung, daß bei den von Logikern ausgeschlossenen Kombinationen keine Erzeugung neuer Urteile statthabe. In Beziehung auf jeden Fehlschluß, z.B. der Form
XeM + MeY = XeY
wird man doch sagen müssen, daß allgemein zwei Urteile der Formen XeM und MeY "unter geeigneten Umständen" im Bewußtsein ein neues Urteil ergeben. Die Analogie mit den chemischen Formeln paßt hier genau so recht und schlecht wie
in den anderen Fällen. Natürlich ist darauf nicht die Entgegnung zulässig, daß die "Umstände" in dem einen und anderen Falle ungleich seien. Psychologisch sind sie alle von gleichem Interesse und die zugehörigen empirischen Sätze von gleichem Wert. Warum machen wir also diesen fundamentalen Unterschied zwischen
den beiden Klassen von
Empirist nicht geben. Unter Voraussetzung der von ihm angenommenen Interpretationen sind ja die den Fehlschlüssen entsprechenden empirischen Sätze in gleicher Weise gültig, wie die den übrigen Schlüssen entsprechenden.
Der Empirist beruft sich auf die Erfahrung der "unerschütter
lichen Notwendigkeit", welche, "wenn die Prämissen gegeben sind, uns zwingt, auch die Schlußfolgerung für wahr zu halten". Aber alle Schlüsse, ob logisch gerechtfertigt oder nicht, vollziehen sich mit psychologischer Notwendigkeit, und auch der (allerdings nur unter Umständen) fühlbare Zwang ist überall der
selbe. Wer einen begangenen Fehlschluß allen kritischen Einwänden zum Trotze immerfort aufrechthält, fühlt die "uner
Diese gefühlte Unerschütterlichkeit ist so wenig ein Zeugnis für ┌ wirkliche┐
Schlusse gehört, und die nichts anderes besagt und besagen darf, als wie die einsichtig zu erkennende (obschon nicht von jedem Urteilenden wirklich erkannte) ideal-gesetzliche Geltung des Schlusses. Die Gesetzlichkeit der Geltung als solche tritt allerdings erst hervor in der einsichtigen Erfassung des Schlußgesetzes;
im Vergleich mit ihr erscheint die Einsichtigkeit des hic et nunc vollzogenen Schlusses als Einsicht in die notwendige Geltung des Einzelfalles, d.i. in die Geltung desselben auf Grund des Gesetzes.
über, warum die in der Logik verworfenen Prämissenkombinationen "kein Ergebnis lieferten". Also von einem künftigen Fortschritt der Erkenntnis erhofft er reichere Belehrung? Man sollte denken, hier wüßten wir alles, was sich überhaupt wissen läßt; haben wir doch die Einsicht, daß jede überhaupt mögliche
(d.h. in den Rahmen der syllogistischen Kombinationen fallende) Form von Schlußsätzen in Verknüpfung mit den fraglichen Prämissenkombinationen ein falsches Schlußgesetz liefern würde; man sollte denken, daß in diesen Fällen auch für einen unendlich vollkommenen Intellekt ein Mehr an Wissen schlechterdings nicht
möglich wäre.
An diese und ähnliche Einwände würde sich noch ein andersartiger knüpfen lassen, der, obschon nicht minder kräftig, für unsere Zwecke minder wichtig erscheint. Es ist nämlich unzweifelhaft, daß die Analogie mit den chemischen Formeln nicht
eben weit reicht, ich meine nicht so weit, daß wir Anlaß fänden, neben den logischen Gesetzen die mit ihnen verwechselten psychologischen pathetisch zu nehmen. Im Falle der Chemie kennen
Psychologie hingegen bedeutet die uns erreichbare Kenntnis der Umstände so wenig, daß wir schließlich nicht weiter kommen als zu sagen: daß es eben öfter vorkommt, daß Menschen den logischen Gesetzen konform schließen, wobei gewisse exakt nicht zu umgrenzende Umstände, eine gewisse "Anspannung der Auf
merksamkeit", eine gewisse "geistige Frische", eine gewisse "Vorbildung" u. dgl. begünstigende Bedingungen für das Zustandekommen eines logischen Schlußaktes sind. Die Umstände oder Bedingungen im strengen Sinne, unter denen der schließende Urteilsakt mit ┌kausaler┐
ganz verborgen. Bei der gegebenen Sachlage ist es auch wohl begreiflich, warum es bisher keinem Psy
gesetze" zu ehren.
Nach alledem werden wir wohl auch Heymans’ interessanten (und in vielen hier nicht berührten Einzelheiten anregenden) Versuch einer "Erkenntnistheorie, die man auch Chemie der Urteile nennen könnte"
chologie des Denkens"
sten hervor, wenn wir sie in äquivalenten idealen Unverträglichkeiten aussprechen. Z.B.: Es gilt allgemein, daß nicht zwei Sätze der Formen "alle M sind X" und "kein P ist M" wahr sind, ohne daß auch ein Satz der Form "einige X sind nicht P" wahr wäre. Und so in jedem Falle. Von einem Bewußtsein, von
Urteilsakten und Umständen des Urteilens u. dgl. ist hier keine
des Schlußgesetzes selbst bedeuten oder einleiten könnte.
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