Neue Wege der Brauchforschung

Mihai Pop

pp. 8


<author>Rucsandra Pop</author></titleStmt><editionStmt><edition><date>2019-04-08</date></edition></editionStmt><publicationStmt><p>unknown</p></publicationStmt><sourceDesc><p>Converted from a Word document</p></sourceDesc></fileDesc><encodingDesc><appInfo><application xml:id="docxtotei" ident="TEI_fromDOCX" version="2.15.0"><label>DOCX to TEI</label></application></appInfo></encodingDesc><revisionDesc><listChange><change><date>2019-12-06T13:48:35Z</date><name>Rucsandra Pop</name></change></listChange></revisionDesc></teiHeader><text><body><p>Neue Wege der Brauchforschung</p><p>Mit Beispielen aus Rumänien</p><p>Von Mihai Pop, Bukarest</p><p>Mein Vortrag behandelt, wie schon der Titel aussagt, neue Wege  oder auch neue Modalitäten, sich dem Brauch zu nähren - wie der Amerikaner sagt: to approach. Ich gehe aus von der Sprachwissenschaft: meine Überlegungen zur Brauchforschung basieren also auf der neuen, oder auch nicht mehr so ganz neuen, sprachwissenschaftlichen Richtung. Der Strukturalismus ist ja keineswegs mehr neu, sondern wohlbekannt, und die Sprachwissenschaftler arbeiten mit dieser Methode, aber auch die Ethnologen und Anthropologen. Manche sind sogar der Meinung, der Strukturalismus sei schon veraltet. Die Sprachwissenschaftler sind nämlich weiter fortgeschritten zur Kommunikationstheorie, zur Semiotik und zu dem, was jetzt sehr oft in den Vordergrund gelangt, zur Psycholinguistik oder Soziolinguistik . Uns beschäftigt nicht nur das Studium der Sprache, also die <hi rend="italic">Sociologie de la langue,</hi>  sondern das Studium der <hi rend="italic" xml:space="preserve">language, </hi>also Sprache als die konkrete Verwirklichung Von Sprache in ihren verschiedenen kontextuellen Situationen. Meiner Ansicht nach gibt es, ausgehend von diesem theoretischen Ansatz, zwei neue Richtungen in unserer Wissenschaft. </p><p> Die eine ist die <hi rend="italic">globale</hi> Betrachtung des Kulturtaschen, und die andere ist die sogenannte <hi rend="italic">Konzeptualisation</hi>, die mit Hilfe einer Strukturanalyse arbeitet und unter Verwendung der Kommunikationstheorie. Hier wird die theoretische Forschung so weit geführt, bis man zu den Begriffen selbst und zu deren Bedeutung gelangt, zu einem Begriffsystem, verbunden mit einem Wertsystem, die beide zu dem Sinn der Dinge führen. Die globale Betrachtung ist auf der Systemtheorie aufgebaut, System als ein einheitlich Ganzes verstanden, wobei die Bedeutung der Elemente nicht isolierte existiert, sondern nur mit Zusammenhang zwischen Elementen und Ganzheit.</p><p> Meine Erfahrungen resultieren  aus der Erforschung der rumänischen  Dorfkultur: alles, was ich Ihnen sage, steht deshalb im Bezug zu dem, was ich in rumänischen Dörfern erforscht habe; ganz besonders trifft das auf die Bräuche zu. Die Dörferkultur kann man als ein Ganzes betrachten, als ein Macrosystem, in  dem dann verschiedene kleinere Formen existieren: die Mikrosysteme. Bräuche sind ein solches Mikrosystem. Sind sie auch das Hauptobjekt unserer Forschung, so muss uns doch immer bewusst bleiben, dass dieses Objekt nicht alleine steht, sondern stets im Rahmen eines größeren systems, und wir müssen die Zusammenhänge innerhalb dieses Systems aufmerksam beachten. </p><p>Aber was sind Bräuche? Meiner Ansicht nach technische Erfahrungen, komplexe technische Erfahrungen. Im einzelnen besteht allerdings ein großer Unterschied im Grad der Komplexität, beispielsweise zwischen den Neujahrsbräuche und einem Zauberspruch. Es gibt eine lange Skala von verschiedenen Stufen, was die Komplexität betrifft, eine technische Erfahrung, die immer dem Glauben begründet ist. Das ist der Unterschied zwischen einer einfachen technischen Erfahrung und seinem Brauch. An der Basis des Brauches steht immer ein Glaubenswert.</p><p> Ein weiteres Charakteristikum der Bräuche besteht darin, dass sie sich wiederholen und zwar mehr oder weniger regelmäßig. Die Bräuche haben also das, was die Sprachwissenschaftler eine <hi rend="italic">Rekurrenz</hi> nennen: sie sind sich wiederholende Tatsachen. Jahresbräuche wiederholen sich regelmäßig, Familienbräuche stets dann, wenn ein entsprechender motivierender Augenblick eintritt. Bräuche sind nicht alltägliche, sondern immer festliche  Geschehnisse, und weil sie mit dem Glauben verbunden sind und der Glaube in der Dorfkultur die Zusammenhänge der sozialen mit der transzendentalen Ebene ausdrückt, gewinnen sie die Eigenschaft des Sakralen. Die Bräuche haben immer eine rituelle Konnotation. Können sie auch locker und präzise gestaltet sein, stets sind sie  formell, d. h. sie haben Spielregeln wie die dramatische Spiele. </p><p> Ich möchte nach diesem Versuch, die Bräuche ein wenig theoretisch zu beschreiben, ein paar Fragen stellen:</p><p>Wie sind die Bräuche gebaut?</p><p> Was ist die Gestalt der Bräuche?</p><p> Worüber <hi rend="italic">reden</hi> die Bräuche- im sprachwissenschaftlichen Sinne?</p><p> (Wir können die Bräuche betrachten als Rede, als <hi rend="italic">discours</hi>, wie die Franzosen sagen.)</p><p> Wozu dienen die Bräuche? </p><p> Um die Gestalt der Bräuche besser festzulegen, möchte ich sie mit den Mythen vergleichen. Das ist das Thema einer langen Forschungstradition  und -diskussion. Levi-Strauss hat die Mythen in den Vordergrund gestellt; gegenwärtig entwickelt sich eine Gegenrichtung, die Bräuche in den Vordergrund zu bringen. Levi-Strauss behauptete, dass die Mythen uns das Weltbild einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft wiedergeben; die Bräuche haben nicht diese Möglichkeit, aber sie sprechen über die gleichen Dinge wie die Mythen, nur in  einer anderen Weise und noch deutlicher. Die Mythen als Kommunikationstatsachen sind verbaler Art, Erzählungen und nur durch die Sprache realisierbar. Wenn ein Mythos durch ein anderes Mittel verwirklicht wird, also z.B. durch ein Schauspiel in moderner Ausführung, so verliert er sein Charakter als Mythos. Nur noch der Gehalt ist mythologisch, aber die Form, die Gestalt, die der Mythos nun annimmt, hat sich verändert.</p><p> Die Mythen sind also verbal, einsprachig. Aber die Riten sind mehrsprachig. Sie können sich verschiedene Ausdrucksmittel bedienen: Wort, Sprache, Tanz, Gestik, Mimik und sogar konkreter Gegenstände wie Wasser, Feuer, Kostüme und andere Requisiten. Und was sehr interessant ist: in den Riten können auch  mythische Gestalten spielerisch teilnehmen. Der entschiedene Unterschied zwischen Mythos und Ritus besteht also in den verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten, den verschiedenen Sprachen, mit denen der Ritus arbeitet. Sie können nebeneinander oder nacheinander vorkommen, das hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Aber stets befindet sie sich in einer organisierten, nicht   anarchischen <hi rend="italic">Synchronie</hi>.</p><p> Die Elemente der Riten Sind immer komplementär. Sie tragen zusammen, um etwas zu verwirklichen. Aber in den Mythen und Riten haben in die verschiedenen Ausdrucksformen, Sprachen nicht immer das gleiche Gewicht. Die Sprache der verschiedenen Elemente ist immer, wie Roman Jakobson sagt, hierarchisch aufgebaut. Sie stehen nebeneinander, aber eines spielt eine größere Rolle als das andere. Im Zauberspruch ist z.B. die verbale Rolle größer, und in manchen rituellen Abläufen sind die Tänze wichtiger. Darin besteht die sogenannte <hi rend="italic">Theorie der Dominanz</hi>, d. h. die Dinge sind nicht gleichwertig, sondern bewegen sich hierarchisch nach den Gesetzen der jeweiligen Dominanz. Hier wird auch der große Unterschied zwischen Mythen und Riten in bezug auf den Vorträger erkennbar. Der Mythos wird von einer Person erzählt, und  die anderen sind die Zuhörer. Im Ritus übernehmen alle Teilnehmer, die Aktanten oder Akteure, eine Rolle- darüber hinaus aber auch konkrete Gegenstände wie Wasser und Feuer und bestimmte Requisiten. Dabei handelt es sich immer um eine Rollenverteilung. Wenn der Mythos eine lineare Vorführung  ist, so besitzt der Ritus eine Perspektive, eine Tiefendimension wie das Schauspiel. Auch die Rezeption durch die Teilnehmenden ist ganz anders, viel intensiver als beim Mythos.</p><p> Um die innere Logik der Riten besser zu verstehen, kann die <hi rend="italic">Strukturanalyse</hi> sehr hilfreich sein, also nicht der Strukturalismus als Theorie, sondern als Analysemethode auf den bekannten zwei Ebenen des Syntagmas und des Paradigmas (oder vom grammatischen Standpunkt aus auf der syntaktischen und der semantischen Ebene). Die Sprachwissenschaftler benutzen  hier einen terminus technicus:<hi rend="italic" xml:space="preserve"> Pertinenz</hi> und  p<hi rend="italic">ertinente Elemente</hi>. Das Spiel mit diesen pertinenten Elementen bietet die Möglichkeit,  die paradigmatische Analyse zu vollenden. </p><p>Die strukturalistische Analyse kann uns helfen, die Rituelle Realität kennenzulernen und die zahlreichen Informationen ordnend zu organisieren und zwar auf der Ebene des Ganzen wie auf der Ebene der Teile. Wenn wir dann verschiedene Riten vergleichen, werden wir sehen, dass die gleichen Elemente in verschiedenen Riten vorkommen, in der allgemeinen Ritualität die sogenannten <hi rend="italic">isotopischen Elemente</hi>. Sie können dieselbe Form haben und sich derselben inneren Funktion  bedienen. Es geht in der Forschung nicht um die Beschreibung der Dinge, sondern um das Erkennen ihrer Bedeutung.</p><p> Nach diesen einführenden Bemerkungen werde ich Ihnen ein paar Beispiele aus dem Umkreis der rumänischen Bräuche vortragen. Die rumänische Dorfkultur hat noch bis jetzt eine Reihe alter Formen, die rituellen Bräuche bewahrt. Es existiert noch eine klassische Reihe von Bräuchen: Kalenderbräuche, Lebenslaufbräuche und Arbeitsbräuche, aber auch Zaubersprüche und ähnliche Kategorien. Ich könnte Ihnen das ganze Bild entwerfen, aber ich beschränke mich und spreche nur über zwei Brauchkomplexe: über die Neujahrsbräuche und über einen bestimmten Aspekt der Hochzeitsbräuche.</p><p> Van Gennep hat in seiner berühmten französischen Volkskunde gesagt, dass Jahresbräuche und Familienbräuche Übergangsriten seien: <hi rend="italic">rites de passage</hi>. Und er hat auch ein formales Modell dieser Übergangsriten festgelegt. Gegenwärtig wird zuweilen die van Gennepsche These in der Weise kritisiert, dass man die Bezeichnung der Bräuche als Übergangsriten als Tautologie abqualifiziert -  ich halte den Begriff jedoch nach wie vor für eine hilfreiche Formulierung.</p><p> Was sind die Neujahrsbräuche? Sie sind ein Markierungspunkt, der den Übergang von einer gewesenen Zeit zu einer zukünftigen kennzeichnet. Neujahrsbräuche gründen auf der Spannung zwischen Wünschen und den Möglichkeiten, diese Wünsche zu erfüllen. Die größte Rolle in der Neujahrsbräuchen spielt diese Spannung. Wir haben lange die romantische Idee gehabt, als sei die traditionelle Kultur eine Kultur ohne Spannung, ohne Krisen und Konflikte. Jedoch im Grunde genommen (vom psychologischen Standpunkt aus gesehen) ist die Spannung zwischen dem, was wir wünschen und was wir möchten, und dem, was wir können, immer ein Hauptmotiv aller Aktivität. Der berühmte französische Semiologie Greimas hat sogar eine Skala über diese <hi rend="italic" xml:space="preserve">Modalisation </hi>aufgestellt. Er hat gesagt, am Anfang steht der Wille, dann das Wissen, etwas zu machen, und dann erst das Können, und erst am Ende folgt die Tat. Also muss -  von der ersten Absicht angefangen - durch alle diese Stadien hindurchgegangen werden. Wenn wir eine Analyse vornehmen, finden wir immer diese Skala in den Bräuchen.</p><p> Die Neujahrsbräuche in Rumänien sind bis heute als eine Zeitspanne zu verstehen entsprechend dem mittelalterlichen Duodecima: den Zwölf Tagen. Sie beginnen am 25. Dezember Und enden am 6. Januar (Epiphania) und haben zwei Markierungspunkte: Weihnachten und Neujahr. In dieser Zeitspanne läuft eine große komplexe Reihe von rituellen Ereignissen ab. Alle sind psychologisch dadurch bedingt, dass die Leute versuchen, die Dinge zu unternehmen, die ihnen auf ritueller Ebene helfen können, im neuen Jahr das Gewünschte zu erreichen. Dafür werden in den Dörfern große Vorbereitungen getroffen. Die Aktanten der Neujahrsbräuche sind bei uns (und das war wohl überall dasselbe) die jungen Burschen, zuweilen auch die Knaben, seltener die Erwachsenen, aber immer Männer, nie Frauen. Die Frauen haben auch eine Rolle, aber nicht im Spiel selbst, sondern in der Adaption des Ganzen.</p><p> Die Vorbereitungen fangen bei diesen jungen Gruppe schon ab 6. Dezember an, am Nikolaustag; dann kommen Sie zum Erlernen der Lieder und Spiele zusammen. Auch die Haushalte machen ihre Vorbereitungen für das für das große Fest des Übergangs vom alten zum neuen Jahr: Putzen, Scheineschlachten und ähnliche ökonomische Vorbereitungen, denn die <hi rend="italic">Ökonomie</hi> ist ein integrativer Teil der  Neujahrsbräuche. Die Gratulationen und Glückwünsche sind ökonomisch betrachtet Gaben, Geschenke. Wenn ich jemandem sage, ich wünsche ihm eine gute Gesundheit oder ein glückliches neues Jahr, so ist das auf ritueller Ebene ein Geschenk, das ich ihm mache. Die Gabe aber muss nach der Theorie von Marcel Mauss erwidert werden. Man muss, wenn man eine Gabe bekommt, eine Gegengabe schenken, sonst behält man eine Verpflichtung zurück, von der man sich nur mit einer Gegengabe befreien kann. Wenn also die Burschen in die Häuser gehen, um ihre Glückwunschlieder zu singen, bekommen sie von den Hausbewohnern Gegengaben verschiedener Art: das fängt an mit Obst und endet mit Kolatschen (Kuchen), Wurst und anderen Dingen.</p><p> Die erste Vorführung dieses Glückwunschumgangs im Dorf veranstalten die Schulbuben; sie gehen am Weihnachtsabend von Haus zu Haus, und in einer sehr einfachen Form wünschen sie Glück für das künftige Jahr. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die Kinder den Anfang machen. Oft spielen Kinder in den Bräuchen eine hervorgehobene Rolle wegen ihrer<hi rend="italic" xml:space="preserve"> Purität</hi>: sie sind rein, unschuldig. Verschiedene Riten verlangen diese Purität (unreine Leute dürfen keine rituellen  Tätigkeiten ausüben), das ist ein Gesetz. Darum sind die Zauberfrauen meist alte, post-menstruelle Frauen, die wieder in einen “ reinen” Zustand gelangt sind.</p><p> Die Burschengruppen gehen also von Haus zu Haus und singen ihre Glückwünschlieder. Ich werde nun versuchen, Ihnen eine <hi rend="italic">syntagmatische Analyse</hi> dieser Weihnachtslieder vorzutragen. Sie kommen also zuerst vor das Hoftor und fragen, ob der Hausherr sie empfangen will. Das ist in allen Riten der Beginn und ein wichtiges Moment, denn er bezeichnet der Anfang des Kommunikationsprozesses, die Aufnahme kommunikativer Beziehungen zwischen den Burschen und der besuchten Familie. Wenn sie dann das Haus betreten, singen sie zuerst ein Weihnachtslied und zwar über den Mythos selbst. Darin erzählen sie in einem <hi rend="italic">Metatext</hi>, was die Norm des Ritus ist; sie schildern also nicht ihr konkretes Vorgehen, sondern das, was die Norm für diesen Augenblick vorschreibt. Auf diese Weise können wir in den Weihnachtslieder ältere Brauchdarstellungen finden. Sie haben sich geändert, sie existieren so nicht mehr, aber die Sänger beschreiben in der Ritenform die alte Norm. Dann folgen Glückwunschlieder für den Haushalt, den Hausherrn, die Hausfrau und alle Familienangehörigen, die Söhne und die Töchter, die heiraten wollen. Diese Lieder haben auch eine präparierende Konnotation, und wenn z.B. jemand aus der Familie gerade beim Militär ist, so wird für ihn ein entsprechendes Lied gesungen  und sogar in einem Trauerhaus ein Trauerweihnachtslied. Das sind dann nicht direkte Glückwünsche, sondern sozusagen Beileidslieder. So wird also das gesamte Dorfleben in diese Form von Weihnachtslieder mit eingeschlossen. Wenn die Burschen ihr Lied beendet haben, kommt der Hausherr mit der Gegengabe. Sie richtet sich nach der Menge der gesungenen Lieder, denn manchmal werden in größeren Familien sechs bis sieben Lieder gesungen. Auf das geistige Geschenk der Sänger folgt das materielle Geschenk des Hauses und darauf wieder eine ausführliche Danksagung in Versform. Weihnachten wird also in einer großen Zeremonie markiert. </p><p>  An Neujahr als Fortsetzung der taktischen Struktur dieser weihnachtlichen “Rede” beginnt der Brauch mit einer Aktion, die das gewünschte Glück darstellen soll. Ein junger erwachsener Mann, gut gewaschen und schön gekleidet, geht von Haus zu Haus. Schon diese Aufmachung soll als gutes Omen gelten für das kommende Jahr. In seinem Glückwunsch betreffen eine Fülle von Omina den Ackerbau, das Wasser und das Klima, also alles, was wichtig ist für den Bauernhof. Die jungen Mädchen spielen mit einer Reihe von kleineren Riten, um ihre Heirataussichten für das nächste Jahr zu erfahren: wer wird der Bräutigam sein, und von wo wird er kommen. Das gehört alles in den komplex der Omina.</p><p> Sehr wichtig ist das Pfluglied. Die Akzente gehen mit einem Pflug von Haus zu Haus, und sie singen oder rezitieren einen Verstext, in dem ihm zahlreichen Strophen die ganze Landarbeit beschreiben wird -  vom Säen bis zum Ernten und Brotbacken. Wiederum geschieht das nicht in konkreter Form, sondern durch die Darstellung der <hi rend="italic">Norm</hi>, d. h. dieser Vortrag hat zwei Funktionen. Einmal soll er die Leute an die schwere Arbeit im vergangenen Jahr erinnern und ihnen zum anderen Glückwünsche sagen für die Landarbeit im nächsten Jahr.</p><p> Bei den Rumänen und bei den anderen Balkanvölkern gibt es keinen Karneval. Die Maskenspiele gehören in den Neujahrzyklus, weil die Periode zwischen Epiphania und Fastnacht den Hochzeiten vorbehalten war. Während die Karnevalsspiele in Mittel- und Westeuropa vielfach mit denen Zünften verbunden sind und mit dem Leben der Städte, gehört in Rumänien alles zum Dorfleben. Maskenspiele, Aufführungen und Tänze sind der Neujahrsfestzeit integriert. Dementsprechend dauerte Neujahr früher drei Tage.</p><p> Über die Maskenspiele möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Zuerst: sie sind wie die Satrunalien ein Gegenspiel zu der normalen Ordnung. Was in den Maskenspiel gemacht wurde, ist Unordnung, Anarchie und Revolte. Es gab übrigens zu diesem Thema eine Kontroverse zwischen Marx und Trotzki. Marx hatte behauptet, dass die Karneval Spiele viele revolutionäre Ideen des Volkes ausweisen, und Trotzki hat gezeigt, dass diese Spiele im Gegenteil nur eine <hi rend="italic">Scheinanarchie</hi> sind, um sich ein Ventil zu schaffen. Dann kehren sie zu der alten Ordnung zurück. Es scheint eine Revolte zu sein, aber wenn wir das als Symbol betrachten ist es nur ein verkehrtes Symbol. Die Bedeutung liegt nicht in dem, was wird sehen, sondern in dem, was die Masken erreichen wollen durch die Sinnverkehrung.</p><p> Wir haben für Maskentypen: Tiger, Bock, Bär und Kamel und noch verschiedene Tiere. Man hat immer versucht, genetisch in der archäötypischen Methode festzustellen, was diese Tiere in dem Spiel bedeuten. Die Dorfleute aber interessieren sich nicht für die Herkunft dieser Tiere, sie sind nur Zeichen, die einen bestimmten  symbolischen Wert bekommen haben. Wichtig ist, dass alle diese Tiere, die teilnehmen, getötet werden, fingiert getötet und wiederbelebt. Das ist der eigentliche Sinn. Die Aktanten benutzen diese Form, um zu zeigen, dass man von der Vergangenheit zur Zukunft durch Tod und Belebung hindurchgelangt. Ein französischer Anthropologe hat über die Beziehung zwischen Leben und Tod eine sehr schöne Sache gesagt: Der Tod ist immer schwanger. Im Tod ist immer das Leben, das künftige Leben enthalten; für die Symbolik der Neujahrsbräuche ist dies eine sehr  zutreffende Bemerkung.</p><p> Jetzt komme ich zu den Heiratsbräuche. Die Heiratsbräuche sind wiederum so komplex, dass ich zuerst über Verwandtschaft sprechen muss. Wenn wir einverstanden sind mit Levi-Strauss, so sprechen die Heiratsbräuche, so sprechen die Heiratsbräuche über einen Austausch. Levi-Strauss sagt, dass die Beziehungen in der Kultur nicht nur zwischen den Leuten stattfinden, nicht nur auf menschlicher Ebene, sondern auch auf der Ebene zwischenmenschlicher und übermenschliche Kräfte. Der Glaube ist auch eine Gabe, die immer eine Gegengabe verlangt. Man bettelt, um etwas zu kriegen. Wenn wir das akzeptieren, was Levi-Strauss sagt, dann findet der Austausch in drei Bereichen statt: ein Güteraustausch, ein  Weiberaustausch und ein Informationsaustausch. Das sind die drei Hauptlinien der Relationen zwischen Menschen und Transzendenz.</p><p>  Der Hauptsinn der Heiratsbräuche ist dieser Austausch. Als zweite Bedeutung ist die Verbindung zwischen zwei Familien zu verstehen, der Beginn einer neuer Verwandtschaft. Die dritte Bedeutung liegt, wie schon van Gennep bemerkte, in der Statusänderung: der Jugendliche, der heiratet, geht vom Status der Unverheirateten in den der Verheiratet über. Die Hauptperson in den heiratsring ist immer die Braut. Sie stellt das wertvolle Objekt dar, so wie Greimas in den Märchen die zu verheiratete Prinzessin bezeichnet hat. Der ganze Hochzeitsritus dreht sich also um die Braut als wertvolles Objekt.</p><p> Noch ein paar Worte  über die Hochzeitlieder und -verse und ihre Bedeutung. In den Normen wird die Jungfräulichkeit der Braut verlangt, auch in den alten Bräuchen, und den Eintritt in die Ehe begleiten in dieser Hinsicht verschiedene, manchmal fast barbarische Formen von Sanktionen. Bei uns in Rumänien, in Nordsiebenbürgen, haben die Leute eine  versteckte Form gefunden, und die Normen verbindlich zu erfüllen. Sie haben im Heiratsritus eine Phasen, in der die Köchin mit einem gebratenen Hund erscheint, und sie bietet dieses Huhn dem Paten an mit verschiedenen Versen. In diesem Versen zeigt sich, dass das Huhn nur das symbolische Zeichen für die Reinheit der Braut darstellt. Sie wird in dem Spruch der Köchin so hoch gepriesen, dass niemand sich traut zu behaupten, die Braut wäre keine Jungfrau. Und so erledigt sich die Frage nach den Sanktionen von selbst. Die Hochzeitsgäste interessieren sich nicht mehr für das, was in der Realität geschehen ist, wenn auf der rituellen Ebene alles geordnet wurde. Das ist ein Beispiel, wie der Ritus als ein Vermieter funktionieren kann. In diesem Sinne als Vermittler haben die Riten also eine katharsische Funktion, die hilft, aus schweren Situationen in eine metaphorisch oder symbolisch sublimierte Form zu gelangen. Das ist meiner Ansicht nach eine der Hauptfunktionen des Ritus. </p><p>Noch einige Beispiele zu den Funktionen der Bräuche. Wenn ein junger Mann immer Heiratsalter stirbt, so wird sein Begräbnis wie eine Hochzeit gestaltet. Das, was normal für sein Lebensalter gewesen wäre, der Hochzeitsritus, wird nun also erfüllt bei einer Feier, die nicht normal für sein Lebensalter ist, sein Begräbnis. Damit wird der Norm Genüge getan. -  Ähnliches vollzieht sich, wenn ein Mädchen ein uneheliches Kind bekommen hat. In manchen Gegenden wird auch dann eine fingierte Hochzeit mit allen Zeremonien mit einem Baum gefeiert. So wird auch hier der Norm genügt.</p><p> Für eine Witwe dauert die Trauerzeit ein Jahr. Wenn eine Frau vorher eine zweite Heirat eingeht, heißt das, dass sie die Norm verletzt hat. Die Gemeinschaft ist dann verpflichtet, die Sache wieder in die Normalität zurück zu bringen. Sie wird dann wieder wie eine Braut eingekleidet, zu dem Grab ihres Mannes geführt, und dort überbringt sie die Brautkrone und die ganze Ausstattung einem jungen Mädchen, d. h., dass die Hochzeit dadurch auf ritueller Ebene annulliert ist. Sie ist wohl nach zivilem Recht verheiratet, aber die Verletzung der Normen ist  nun für die Gemeinschaft aufgehoben. Solche Abweichungen von der Norm können gefährlich sein, nicht nur für die, die das gemacht haben, sondern auch für die ganze Gesellschaft, die diesen Normen anerkennt.</p><p> Das Gleiche gilt für die Weihnachtslieder. Jedes Haus ist verpflichtet, die Schar von jungen Leuten zu empfangen. Wenn jemand sich weigert, so stellt er sich damit gegen die Weihnachtslieder und empfängt Spottlieder. Aber diese Spottlieder sind nicht nur die Strafe für die Ablehnung der Norm, sondern ein Schutz, weil die Überschreitung der Norm gefährlich sein könnte für die ganze Gemeinschaft.</p><p> Ich möchte nur noch ein paar Worte sagen über den <hi rend="italic">Konzeptualismus</hi>. Alle diese Riten funktionieren nach einer für die jeweilige Gemeinschaft bestimmten Logik, und diese Logik ist die innere Logik der Bräuche. Die Bräuche sprechen zuerst über Normalität und helfen auch, die Normalität zu bewahren. Sie sprechen über soziale Beziehungen, sie sprechen über Beziehungen zwischen der irdischen und der transzendentalen Ebene, sie sprechen in verschiedenen spielerischen, metaphorischen, idealen Formen über Phänomene und über das Wesentliche, also im Grunde genommen über das, was im Leben wichtig ist. Dieses wesentliche drücken sie spielerisch mit Hauptbegriffen aus, gebunden an Raum und Zeit, und in bezug auf Raum und Zeit wählen sie dann immer oppositionelle Paarsituationen, also Leben und Tod, Anfang und Ende. Und in diese Binalitäten, die Gegensätze sind, treten die Riten helfend und überwindend ein. Wenn wir die Analyse bis zu Ende führen, bis zu dem niedrigen Niveau im Sinne Chomskys, dann werden wir sehen, das in alle Riten die verschiedenen oppositionellen Formen wiederzufinden sind:  unten und oben, diesseits und jenseits, vorne und hinten, nah und weit. Das ist das Begriffssystem, mit dem die Bräuche arbeiten und das Wertsystem: gut und böse, rein und unrein, schön und hässlich u.s.w. Das also bedeutet <hi rend="italic">Konzeptualisation</hi>: die Analyse so weit und so tief zu führen, bis man zu dem Wesentlichen kommt, zu dem, was auf der begrifflichen Ebene liegt, und zu der Erkenntnis des logischen Wertsystems. Wie alle Kommunikationstatsachen haben auch die Riten eine Grammatik, sie haben ebenfalls eine Syntax, eine syntagmatische Ebene und eine paradigmatische Ebene, und sie haben ein Wörterbuch. Das rituelle Wörterbuch ist ein symbolisches Wörterbuch. Die Riten arbeiten mit Symbolen, nicht mit realen Tatsachen, sondern mit der mentalen Referenz der Symbole. Das Bedeutende ist der Begriff, der Sinn der Begriffe, und das gilt nicht immer für das direkte Verständnis, sondern geht durch einen metaphorisierungsprozess. Also Wasser ist nicht das Wasser, dass wir trinken, sondern Wasser kann ein Reinigungssymbol sein, oder Wassern kann auch im Gegensatz ein Krisis- und Konfliktsymbol sein wie Feuer. Die Symbole sind mehrdeutig wie fast alle Wörter. Wir können die Wörter der Sprache in verschiedenen Bedeutungen benutzen (nur die wissenschaftliche Sprache benützt die Wörter eindeutig). Die Symbole können offene Bedeutungen haben oder verdeckte, auch traumhafte. Wir sagen durch die Symbole nicht immer das, was wir sagen wollen, sondern auch, was wir nicht sagen wollen. Die konkrete Bedeutung der Symbole ist durch den Kontext bedingt, in dem sie stehen. Wir haben zwei kontextuelle Situationen, die Bedeutung in der Gattung und die soziale Bedeutung im konkreten Fall. In dieser Hinsicht haben wir nicht nur zwei Bedeutungen, sondern auch zwei Funktionen. Eine innere Funktion, wie in den Sprachwissenschaften, und die allgemeine Funktion. </p></body></text></TEI></div></div><div id="content_2" class="content"><p>This document is unfortunately not available for download at the moment.</p><div class="grayline"></div></div><div id="content_3" class="content">Not implemented yet !</div><div id="content_4" class="content"></div></div><script>javascript:ChangeOnglet('1');</script></div></div></div><div class="clear"></div><div id="footer"> <div id="footer_inner"> <p> copyright © 2012-2024 sdvig press. All rights reserved | </p> <a href="imprint.php">Terms & Conditions</a> | <a href="BackEndCtrl.php">Powered by MOM</a> | </div></div></div> </body> </html>