Empiristische Konsequenzen des Psychologismus

Edmund Husserl

pp. 72-87


§ 21. Kennzeichnung zweier empiristischer Konsequenzen des psychologistischen Standpunktes und deren Widerlegung

Stellen wir uns für den Augenblick auf den Boden der psychologistischen Logik, nehmen wir also an, es lägen die wesentlichen theoretischen Fundamente der logischen Vorschriften in der Psychologie. Wie immer diese Disziplin nun definiert werden mag — ob als Wissenschaft von den psychischen Phänomenen oder als Wissenschaft von den Tatsachen des Bewußtseins, von den Tatsachen der inneren Erfahrung, von den Erlebnissen in ihrer Abhängigkeit von erlebenden Individuen oder wie immer sonst — darin besteht allseitige Einigkeit, daß die Psychologie eine Tatsachenwissenschaft ist und somit eine Wissenschaft als Erfahrung. Wir werden auch nicht auf Widerspruch stoßen, wenn wir hinzufügen, daß die Psychologie bislang noch echter und somit exakter Gesetze ermangelt, und daß die Sätze, die sie selbst mit dem Namen von Gesetzen ehrt, zwar sehr wertvolle, aber doch nur vage* Ich gebrauche den Terminus vage als Gegensatz zu exakt. Keineswegs soll durch ihn irgendwelche Geringschätzung der Psychologie ausgedrückt sein, der etwas am Zeuge flicken zu wollen, mir gänzlich fernliegt. Auch die Naturwissenschaft hat in manchen, zumal den konkreten Disziplinen, vage "Gesetze". So sind die meteorologischen Gesetze vage und doch von großem Werte. Verallgemeinerungen der Erfahrung sind, Aussagen über ungefähre Regelmäßigkeiten der Koexistenz oder Sukzession, die gar nicht den Anspruch erheben, mit unfehlbarer, eindeutiger Bestimmtheit festzustellen, was unter exakt umschriebenen Verhältnissen zusammen bestehen oder erfolgen müsse. Man betrachte z.B. die Gesetze der Ideenassoziation, welchen die Assoziationspsychologie die Stellung und Bedeutung von psychologischen Grundgesetzen einräumen wollte. Sowie man sich die Mühe nimmt, ihren empirisch berechtigten Sinn angemessen zu formulieren, verlieren sie auch sofort den prätendierten Gesetzescharakter. Dies vorausgesetzt, ergeben sich für die psychologistischen Logiker recht bedenkliche Konsequenzen:

Erstens. In vagen theoretischen Grundlagen können nur vage Regeln gründen. Entbehren die psychologischen Gesetze der Exaktheit, so muß dasselbe von den logischen Vorschriften gelten. Nun ist es unzweifelhaft, daß manche dieser Vorschriften allerdings mit empirischen Vagheiten behaftet sind. Aber gerade die im prägnanten Sinne sogenannten logischen Gesetze, von denen wir früher erkannt haben, daß sie als Gesetze der Begründungen den eigentlichen Kern aller Logik ausmachen: die logischen "Prinzipien", die Gesetze der Syllogistik, die Gesetze der mannigfachen sonstigen Schlußarten, wie der Gleichheitsschluß, der Bernoullische Schluß von n auf n + 1, die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsschlüsse usw., sind von absoluter Exaktheit; jede Interpretation, die ihnen empirische Unbestimmtheiten unterlegen, ihre Geltung von vagen "Umständen" abhängig machen wollte, würde ihren wahren Sinn von Grund auf ändern. Sie sind offenbar echte Gesetze und nicht "bloß empirische", d.i. ungefähre Regeln.

Ist, wie Lotze meinte, die reine Mathematik nur ein selbständig entwickelter Zweig der Logik, so gehört auch die unerschöpfliche Fülle rein mathematischer Gesetze in die eben bezeichnete Sphäre exakter logischer Gesetze. Auch in allen weiteren Einwänden möge mit dieser Sphäre auch die des rein Mathematischen im Auge behalten werden.

Zweitens. Würde jemand, um dem ersten Einwande zu entgehen, die durchgängige Inexaktheit der psychologischen Gesetze leugnen und die Normen der soeben ausgezeichneten Klasse auf vermeintlich exakte Naturgesetze des Denkens gründen wollen, so wäre noch nicht viel gewonnen.

Kein Naturgesetz ist a priori erkennbar, ist selbst einsichtig begründbarA: a priori, d.h. einsichtig erkennbar.. Der einzige Weg, ein solches Gesetz zu begründen und zu rechtfertigen, ist die Induktion aus einzelnen Tatsachen der Erfahrung. Die Induktion begründet aber nicht die Geltung des Gesetzes, sondern nur die mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit dieser Geltung; einsichtig gerechtfertigt ist die Wahrscheinlichkeit und nicht das Gesetz. Folglich müßten auch die logischen Gesetze, und zwar ausnahmslos, den Rang bloßer Wahrscheinlichkeiten haben. Demgegenüber scheint nichts offenkundiger, als daß die "rein logischen" Gesetze insgesamt a priori gültig sind. Nicht durch Induktion, sondern durch apodiktische Evidenz finden sie Begründung und Rechtfertigung. Einsichtig gerechtfertigt sind nicht bloße Wahrscheinlichkeiten ihrer Geltung, sondern ihre Geltung oder Wahrheit selbst.

Der Satz vom Widerspruch besagt nicht, es sei zu vermuten, daß von zwei kontradiktorischen Urteilen eines wahr und eines falsch sei; der modus Barbara besagt nicht, es sei, wenn zwei Sätze der Form: "Alle A sind B" und "alle B sind C" wahr sind, zu vermuten, daß ein zugehöriger Satz der Form: "Alle A sind C" wahr sei. Und so überall, auch im Gebiete der rein mathematischen Sätze. Andernfalls müßten wir ja die Möglichkeit offen halten, daß sich die Vermutung bei Erweiterung unseres allzeit nur begrenzten Erfahrungskreises nicht bestätigte. Vielleicht sind unsere logischen Gesetze dann nur "Annäherungen" an die wahrhaft gültigen, uns aber unerreichbaren Denkgesetze. Solche Möglichkeiten werden bei den Naturgesetzen ernstlich und mit Recht erwogen. Obschon das Gravitationsgesetz durch die umfassendsten Induktionen und Verifikationen empfohlen ist, faßt es heutzutage doch kein Naturforscher als absolut gültiges Gesetz auf. Man probiert es gelegentlich mit neuen Gravitationsformeln, man wies z.B. nach, daß Webers Grundgesetz der elektrischen Erscheinungen ganz wohl auch als Grundgesetz der Schwere fungieren könnte. Der unterscheidende Faktor der beiderseitigen Formeln bedingt eben Unterschiede in den berechneten Werten, welche die Sphäre der unvermeidlichen Beobachtungsfehler nicht überschreiten. Derartiger Faktoren sind aber unendlich viele denkbar; daher wissen wir a priori, daß unendlich viele Gesetze dasselbe leisten können und leisten müssen, wie das (nur durch besondere Einfachheit empfohlene) Gravitationsgesetz Newtons; wir wissen, daß schon die Suche nach dem einzig wahren Gesetz bei der nie und nimmer zu beseitigenden Ungenauigkeit der Beobachtungen töricht wäre. Dies ist die Sachlage in den exakten Tatsachenwissenschaften. Keineswegs aber in der Logik. Was dort berechtigte Möglichkeit ist, verkehrt sich hier zu offener Absurdität. Wir haben ja Einsicht nicht in die bloße Wahrscheinlichkeit, sondern in die Wahrheit der logischen Gesetze. Wir sehen die Prinzipien der Syllogistik, der Bernoulli-schen Induktion, der Wahrscheinlichkeitsschlüsse, der allgemeinen Arithmetik u. dgl. ein, d.h. wir erfassen in ihnen die Warhheit selbst; somit verliert die Rede von Ungenauigkeitssphären, von bloßen Annäherungen u. dgl. ihren möglichen Sinn. Ist aber, was die psychologische Begründung der Logik als Konsequenz verlangt, absurd, so ist sie selbst absurd.

Gegen die Wahrheit selbst, die wir einsichtig erfassen, kann auch die stärkste psychologistische Argumentation nicht aufkommen; Wahrscheinlichkeit kann nicht gegen Wahrheit, Vermutung nicht gegen Einsicht streiten. Mag sich, wer in der Sphäre allgemeiner Erwägungen stecken bleibt, durch die psychologistischen Argumente täuschen lassen. Der bloße Hinblick auf irgendeines der logischen Gesetze, auf seine eigentliche Meinung und die Einsichtigkeit, mit der es als Wahrheit an sich erfaßt wird, müßte der Täuschung ein Ende machen.

Wie klingt doch plausibel, was die so naheliegende psychologistischeA: psychologische. Reflexion uns aufdrängen will: Die logischen Gesetze sind Gesetze für Begründungen. Begründungen — was sind sie anderes denn eigenartige Gedankenverläufe des Menschen, in welchen unter gewissen normalen Verhältnissen die als Endglieder auftretenden Urteile mit dem Charakter der notwendigen Folge behaftet erscheinen. Dieser Charakter ist selbst ein psychischer, eine gewisse Art des Zumuteseins und nichts weiter. Und allA: alle. diese psychischen Phänomene stehen selbstverständlich nicht isoliert, sie sind einzelne Fäden des vielverschlungenen Gewebes von psychischen Phänomenen, psychischen Dispositionen und organischen Prozessen, die wir menschliches Leben nennen. Wie sollte unter diesen Umständen anderes resultieren als empirische Allgemeinheiten? Wo gäbe die Psychologie auch mehr?

Wir antworten: Gewiß gibt die Psychologie nicht mehr. Eben darum kann sie auch nicht jene apodiktisch evidenten und somit überempirischen und absolut exakten Gesetze geben, welche den Kern aller Logik ausmachen.

§ 22. Die Denkgesetze als vermeintliche Naturgesetze, welche in isolierter Wirksamkeit das vernünftige Denken kausieren

Hier ist auch der Ort, zu einer verbreiteten Auffassung der logischen Gesetze Stellung zu nehmen, welche das richtige Denken durch seine Angemessenheit an gewisse (wie immer zu formulierende) Denkgesetze bestimmt, zugleich aber geneigt ist, sich diese Angemessenheit in folgender Weise psychologistisch zu interpretieren: nämlich, wie ihr die Denkgesetze als die Naturgesetze gelten, welche die Eigenart unseres Geistes als eines denkenden charakterisieren, so soll das Wesen der das richtige Denken definierenden Angemessenheit in der reinen, durch keine anderweitigen psychischen Einflüsse (wie Gewohnheit, Neigung, Tradition) getrübten Wirksamkeit dieser Denkgesetze liegen.* Vgl. z.B. die S. 55 oben zitierten Sätze aus Lipps’ Aufsatz über die Aufgabe der Erkenntnistheorie. Von den bedenklichen Konsequenzen dieser Lehre sei hier eine ausgeführt. Denkgesetze als Kausalgesetze, nach denen die Erkenntnisse im seelischen ZusammenhangZusatz von B. werden, könnten nur in Form von WahrscheinlichkeitA: Wahrscheinlichkeiten. gegeben sein. Demgemäß dürfte keine Behauptung als eine richtige mit Gewißheit beurteilt werden; denn Wahrscheinlichkeiten als Grundmaße aller Richtigkeit müssen jeder Erkenntnis den Stempel der bloßen Wahrscheinlichkeit aufprägen. So ständen wir vor dem extremsten Probabilismus. Auch die Behauptung, daß alles Wissen ein bloß wahrscheinliches seiA: ist., wäre nur wahrscheinlich gültig; diese neue Behauptung abermals und so in infinitum. Da jede folgende Stufe den Wahrscheinlichkeitsgrad der nächstvorhergehenden in etwas herabdrückt, so müßten wir um den Wert aller Erkenntnis ernstlich besorgt sein. Hoffentlich trifft es sich aber glücklich genug, daß die Wahrscheinlichkeitsgrade dieser unendlichen Reihen allzeit den Charakter Cantorscher "Fundamentalreihen’’ haben, und zwar so, daß der endgültige Grenzwert für die Wahrscheinlichkeit der jeweilig zu beurteilenden Erkenntnis eine reelle ZahlA: reelle absolute Zahl. Die Veränderung in B entspricht den "Berichtigungen" zu A. ist > 0. Natürlich entgeht man diesen skeptischenZusatz von B. Unzuträglichkeiten, wenn man die Denkgesetze als einsichtig gegebene gelten läßt. Aber wie sollten wir von Kausalgesetzen Einsicht haben?

Und angenommen, es bestände diese Schwierigkeit nicht, dann dürfen wir doch fragen: Wo ist in aller Welt der Nachweis geführt, daß aus der reinen Wirksamkeit dieser Gesetze (oder welcher Gesetze auch sonst) die richtigen Denkakte entspringen? Wo sind die deskriptiven undZusatz von B. genetischen Analysen, die uns berechtigen, die Denkphänomene aus zwei Klassen von Naturgesetzen zu erklären, von welchen die einen ausschließlich den Gang solcher Kausationen bestimmen, die das logische Denken hervorgehen lassen, während für das alogische Denken auch die anderen mitbestimmend sind? Ist die Bemessung eines Denkens nach den logischen GesetzenA: durch die logischen Gesetze. etwa gleichbedeutend mit dem Nachweis seiner kausalen Entstehung nach eben diesen Gesetzen als Naturgesetzen?

Es scheint, daß hier einige naheliegende Verwechslungen den psychologistischen Irrtümern den Weg geebnet haben. Zunächst verwechselt man die logischen Gesetze mit den Urteilen, im Sinne von UrteilsaktenA: (Urteilsakten). , in denen sie möglicherweise erkannt werden, also die Gesetze als "Urteilsinhalte" mit den Urteilen selbst. Die letzteren sind reale Vorkommnisse, die ihre Ursachen und Wirkungen haben. Insbesondere wirken die Urteile gesetzlichen Inhalts des öfteren als Denkmotive, welche den Gang unserer Denkerlebnisse so bestimmen, wie es eben jene Inhalte, die Denkgesetze, vorschreiben. In solchen Fällen ist die reale Anordnung und Verknüpfung unserer Denkerlebnisse dem, was in der leitenden gesetzlichen Erkenntnis allgemein gedacht ist, angemessen; sie ist ein konkreter Einzelfall zu dem allgemeinen des Gesetzes. Verwechselt man aber das Gesetz mit dem Urteilen, Erkennen des Gesetzes, das Ideale mit dem Realen, so erscheint das Gesetz als eine bestimmende Macht unseres Denkverlaufs. In wohl begreiflicher Leichtigkeit reiht sich dann eine zweite Verwechslung an, nämlich zwischen dem Gesetz als Glied der Kausation und dem Gesetz als der Regel der Kausation. Es ist uns ja auch sonst die mythische Rede von den Naturgesetzen als waltenden Mächten des natürlichen Geschehens nicht fremd — als ob die Regeln ursächlicher Zusammenhänge selbst wieder als Ursachen, somit als Glieder eben solcher Zusammenhänge sinnvoll fungieren könnten. Die ernsthafte Vermengung so wesentlich verschie dener Dinge war in unserem Falle durch die vordem bereits begangene Vermengung zwischen Gesetz und Gesetzeserkenntnis offenbar begünstigt. Die logischen Gesetze erschienen ja bereits als treibende Motoren im Denken. Sie regieren, dachte man sich, den Denkverlauf kausal — also sind sie Kausalgesetze des Denkens, sie drücken aus, wie wir der Natur unseres Geistes zufolge denken müssen, sie kennzeichnen den menschlichen Geist als einen (im prägnanten Sinne) denkenden. Denken wir gelegentlich anders als diese Gesetze es verlangen, so "denken" wir, eigentlich gesprochen, überhaupt nicht, wir urteilen nicht, wie es die Naturgesetze des Denkens oder wie es die Eigenart unseres Geistes als eines denkenden fordert, sondern wie es andere Gesetze, und zwar wiederum kausal, bestimmen, wir folgen trübenden Einflüssen der Gewohnheit, Leidenschaft u. dgl.

Natürlich können auch andere Motive zu dieser selben Auffassung gedrängt haben. Die Erfahrungstatsache, daß die in gewisser Sphäre normal Disponierten, z.B. die wissenschaftlichen Forscher in ihren Gebieten, logisch richtig zu urteilen pflegen, scheint die natürliche Erklärung zu fordern, daß die logischen Gesetze, nach denen die Richtigkeit des Denkens bemessen wird, zugleich in der Weise von Kausalgesetzen den Gang des jeweiligen Denkens bestimmen, während die vereinzelten Abweichungen von der Norm leicht auf Rechnung jener trübenden Einflüsse aus anderen psychologischen Quellen zu setzen wärenA: waren..

Demgegenüber genügt es, folgende Erwägung anzustellen. Wir fingieren einen Idealmenschen, in dem alles Denken so vonstatten geht, wie es die logischen Gesetze fordern. Natürlich muß die Tatsache, daß es so vonstatten geht, ihren erklärenden Grund haben in gewissen psychologischen Gesetzen, welche den Verlauf der psychischen Erlebnisse dieses Wesens von gewissen ersten "Kollokationen’’ aus in einer gewissen Weise regeln. Ich frage nun: Wären diese Naturgesetze und jene logischen Gesetze unter den gemachten Annahmen identisch? Die Antwort muß offenbar verneinend ausfallen. Kausalgesetze, nach welchen das Denken so ablaufen muß, wie es nach den idealen Normen der Logik gerechtfertigt werden könnte, und diese Normen selbst — das ist doch keineswegs dasselbe. Ein Wesen ist so konstituiert, daß es in keinem einheitlichen Gedankenzuge widersprechende Urteile fällen, oder daß es keinen Schluß vollziehen kann, der gegen die syllogistischen Modi verstieße — darin liegt durchaus nicht, daß der Satz vom Widerspruch, der modus Barbara u. dgl. Naturgesetze seienA: sind., die solche Konstitution zu erklären vermöchten. Das Beispiel der Rechenmaschine macht den Unterschied völlig klar. Die Anordnung und Verknüpfung der hervorspringenden Ziffern wird naturgesetzlich so geregelt, wie es die arithmetischen Sätze für ihre Bedeutungen fordern. Aber niemand wird, um den Gang der Maschine physikalisch zu erklären, statt der mechanischen die arithmetischen Gesetze heranziehen. Die Maschine ist freilich keine denkende, sie versteht sich selbst nicht und nicht die Bedeutung ihrer Leistungen; aber könnte nicht unsere Denkmaschine sonst in ähnlicher Weise funktionieren, nur daß der reale Gang des einen Denkens durch die in einem anderen Denken hervortretende Einsicht in die logische Gesetzlichkeit allzeit als richtig anerkannt werden müßte? Dieses andere Denken könnte ebensogut zu der Leistung derselben wie anderer Denkmaschinen gehören, aber ideale Bewertung und kausale Erklärung blieben immer noch heterogen. Man vergesse auch nicht die "ersten Kollokationen", die für die kausale Erklärung unerläßlich, für die ideale Wertung aber sinnlos sind.

Die psychologistischen Logiker verkennen die grundwesentlichen und ewig unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Idealgesetz und Realgesetz, zwischen normierender Regelung und kausaler Regelung, zwischen logischer und realer Notwendigkeit, zwischen logischem GrundFehlt in A. und Realgrund. Keine denkbare Abstufung vermag zwischen Idealem und Realem Vermittlungen herzustellen. Es ist kennzeichnend für den Tiefstand der rein logischenA: rein-logischen. Einsichten in unserer Zeit, wenn ein Forscher vom Range Sigwarts gerade mit Beziehung auf die auch oben erwogene Fiktion eines intellektuell idealen Wesens glaubt annehmen zu dürfen, daß für ein solches "die logische Notwendigkeit zugleich eine reale wäre, die wirkliches Denken hervorbringt", oder wenn er zur Erklärung des Begriffes "logischer Grund" den Begriff des Denkzwanges benützt.* Sigwarts Logik, I ┌3, S. 259 f.In A wird die 2. Auflage zitiert: S. 252 u. 253. Wieder, wennIn A folgt: ein. Wundt** Wundts Logik, I2, S. 573. im Satz vom Grunde "das Grundgesetz der Abhängigkeit unserer Denkakte voneinander" erblickt, usw. Daß es sich in diesen Beziehungen wirklich um logische Grundirrtümer handelt, wird der Lauf der weiteren Untersuchungen hoffentlich auch dem Voreingenommenen zu voller Gewißheit bringen.

§ 23. Eine dritte Konsequenz des Psychologismus und ihre Widerlegung

Drittens.*** Vgl. oben § 21, S. 60 ff. Hätten die logischen Gesetze ihre Erkenntnisquelle in psychologischen Tatsächlichkeiten, wären sie z.B., wie die Gegenseite gewöhnlich lehrt, normative Wendungen psychologischer Tatsachen, so müßten sie selbst einen psychologischen Gehalt besitzen und zwar in doppeltem Sinne: sie müßten Gesetze für Psychisches sein und zugleich die Existenz von Psychischem voraussetzen bzw. einschließen. Dies ist nachweislich falsch. Kein logisches Gesetz impliziert ein "matter of fact", auch nicht die Existenz von Vorstellungen oder Urteilen oder sonstigen Erkenntnisphänomenen. Kein logisches Gesetz ist — nach seinem echten Sinne — ein Gesetz für Tatsächlichkeiten des psychischen Lebens, also weder für Vorstellungen (d.i. Erlebnisse des Vorstellens), noch für Urteile (d.i. Erlebnisse des Urteilens), noch für sonstige psychische Erlebnisse.

Die meisten Psychologisten stehen zu sehr unter dem Einflusse ihres allgemeinen Vorurteils, als daß sie daran dächten, es an den bestimmt vorliegenden Gesetzen der Logik zu verifizieren. Müssen diese Gesetze aus allgemeinen Gründen psychologisch sein, wozu im einzelnen nachweisen, daß sie es wirklich sind? Man beachtet nicht, daß ein konsequenter Psychologismus zu Interpretationen der logischen Gesetze nötigen würde, welche ihrem wahren Sinn von Grund aus fremd wären. Man übersieht, daß die natürlich verstandenen Gesetze weder der Begründung noch dem Inhalt nach Psychologisches (also Tatsächlichenkeiten des Seelenlebens) voraussetzen und jedenfalls nicht mehr als die Gesetze der reinen Mathematik.

Wäre der Psychologismus auf richtigem Wege, so müßten wir in der Lehre von den Schlüssen durchaus nur Regeln folgender Art erwarten: Erfahrungsgemäß knüpft sich ein mit dem Charakter apodiktisch notwendiger Folge versehener Schlußsatz der Form S unter den Umständen U an Prämissen der Form P. Um also "richtig" zu schließen, das heißt Urteile dieses auszeichnenden Charakters beim Schließen zu gewinnen, hat man demgemäß zu verfahren und für die Realisierung der Umstände U und der bezüglichen Prämissen zu sorgen. Psychische Tatsächlichkeiten erschienen hier als das Geregelte, und zugleich wäre die Existenz solcher Tatsächlichkeiten, wie in der Begründung der Regeln vorausgesetzt, so in ihrem Inhalt mit eingeschlossen. Aber kein einziges Schlußgesetz entspricht diesem Typus. Was besagt z.B. der modus Barbara? Doch nichts anderes als dies: "Allgemein gilt für beliebige Klassentermini A, B, C, daß, wenn alle AB und alle BC sind, auch alle AC sind"Die Anführungszeichen fehlen in A.. Wieder sagt der "modus ponens" unverkürzt ausgesprochen: "Es ist ein für beliebige Sätze A, B gültiges Gesetz, daß, wenn A gilt und überdies gilt, daß, wenn A so B gilt, dann auch B gilt". So wenig diese und alle ähnlichen Gesetze empirisch sind, so wenig sind sie auch psychologisch. Allerdings werden sie in der traditionellen Logik in Absicht auf die Normierung der Urteilstätigkeiten aufgestellt. Aber ist die Existenz eines einzigen aktuellen Urteils oder eines sonstigen psychischen Phänomens in ihnen mitbehauptet? Ist jemand dieser Meinung, so verlangen wir den Beweis. Was in einem Satze als mitbehauptet liegt, muß sich durch eine gültige Schlußweise aus ihm ableiten lassen. Aber wo sind die Schlußformen, die aus einem reinen Gesetz eine Tatsache abzuleiten gestatten?

Man wird nicht einwenden, daß in aller Welt die Rede von logischen Gesetzen nicht hätte aufkommen können, wenn wir nie Vorstellungen und Urteile im aktuellen Erlebnis gehabt und die betreffenden logischen Grundbegriffe aus ihnen abstrahiert hätten; oder gar, daß in jedem Verstehen und Behaupten des Gesetzes die Existenz von Vorstellungen und Urteilen impliziert, also daraus wieder zu erschließen sei. Denn kaum braucht gesagt zu werden, daß hier die Folge nicht aus dem Gesetz, sondern aus dem Verstehen und Behaupten des Gesetzes gezogen ist, daß dieselbe Folge aus jeder beliebigen Behauptung zu ziehen wäre, und daß psychologische Voraussetzungen oder Ingredienzien der Behauptung eines Gesetzes nicht mit logischen Momenten seines Inhaltes vermengt werden dürfen.

"Empirische Gesetze" haben eo ipso einen Tatsachengehalt. Als unechte Gesetze sagen sie, roh gesprochen, nur aus, daß unter gewissen Umständen erfahrungsmäßig gewisse Koexistenzen oder Sukzessionen einzutreten pflegen, oder je nach Umständen mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Darin liegt, daß solche Umstände, solche Koexistenzen oder Sukzessionen tatsächlich Vorkommen. Aber auch die strengen Gesetze der Erfahrungswissenschaften sind nicht ohne Tatsachengehalt. Sie sind nicht bloß Gesetze über Tatsachen, sie implizieren auch die Existenz von Tatsachen.

Doch es bedarf hier größerer Genauigkeit. Die exakten Gesetze in ihrer normalen Formulierung haben freilich den Charakter reiner Gesetze, sie schließen keinerlei Existenzialgehalt in sich. Aber denken wir an die Begründungen, aus denen sie die wissenschaftliche Rechtfertigung schöpfen, so ist es sofort klar, daß sie als die reinen Gesetze der normalen Formulierung nicht gerechtfertigt sein können. Wahrhaft begründet ist nicht das Gravitationsgesetz, wie es die Astronomie ausspricht, sondern nur ein Satz der Form: Nach Maßgabe unserer bisherigen Erkenntnisse ist es eine theoretisch begründete Wahrscheinlichkeit höchster Dignität, daß für den Bereich der mit den gegenwärtigen Hilfsmitteln erreichbaren Erfahrung der Satz Newtons gilt oder überhaupt eines aus der unendlichen Mannigfaltigkeit mathematisch denkbarer Gesetze, welche von Newtons Gesetz nur innerhalb der Sphäre unvermeidlicher Beobachtungsfehler differieren können. Diese Wahrheit ist mit Tatsächlichkeitsgehalt reichlich beschwert, sie selbst ist also nichts weniger als ein Gesetz im echten Sinne des Wortes. Sie schließt offenbar auch mehrere Begriffe vager Umgrenzung ein.

Und so sind alle Gesetze der exakten Wissenschaften über Tatsachen zwar echte Gesetze, aber, erkenntnistheoretisch betrachtet, nur idealisierende Fiktionen — obschon Fiktionen cum funda-mento in re. Sie erfüllen die Aufgabe, theoretische Wissenschaften als der Wirklichkeit nächstangepaßte Ideale zu ermöglichen, also das höchste theoretische Ziel aller wissenschaftlichen Tatsachenforschung, das Ideal der erklärenden Theorie, der Einheit aus Gesetzlichkeit, insoweit zu realisieren, als es nach Maßgabe der unüberbrückbaren Schranken der menschlichen Erkenntnis möglich ist. An Stelle der absoluten Erkenntnis, die uns versagt ist, arbeiten wir uns durch einsichtiges Denken aus dem Gebiet empirischer Einzelheiten und Allgemeinheiten zunächst jene sozusagen apodiktischen Wahrscheinlichkeiten heraus, in denen alles erreichbare Wissen betreffs der Wirklichkeit beschlossen ist. Diese reduzieren wir dann auf gewisse exakte Gedanken von echtem Gesetzescharakter, und so gelingt uns der Aufbau formell vollkommener Systeme erklärender Theorien. Aber diese Systeme (wie z.B die theoretische Mechanik, die theoretische Akustik, theoretische Optik, theoretische Astronomie u. dgl.) können sachlich nur gelten als ideale Möglichkeiten cum fundamento in re, welche unendlich viele andere Möglichkeiten nicht ausschließen, aber dafür in bestimmte Grenzen einschließen. — Doch dies geht uns hier nicht weiter an und noch weniger die Erörterung der erkenntnispraktischen Funktionen dieser idealen Theorien, nämlich ihrer Leistungen zur erfolgreichen Vorausbestimmung der künftigen und Rekonstruktion der vergangenen Tatsachen und ihrer technischen Leistungen für die praktische Naturbeherrschung. Wir gehen also wieder zu unserem Falle über.

Ist echte Gesetzlichkeit, wie soeben gezeigt wurde, ein bloßes Ideal im Gebiete der Tatsachenerkenn tnis, so findet sie sich dagegen realisiert im Gebiete der "rein begrifflichen" Erkenntnis. In diese Sphäre gehören unsere rein logischen Gesetze, wie auch die Gesetze der Mathesis pura. Ihren "Ursprung", genauer gesprochen, ihre rechtfertigende Begründung, nehmen sie nicht aus der Induktion; so führen sie auch nicht den existenzialen Gehalt mit sich, der allen Wahrscheinlichkeiten als solchen, auch den höchsten und wertvollsten, anhaftet. Was sie besagen, gilt voll und ganz; einsichtig begründet sind sie selbst in ihrer absoluten Exaktheit, und nicht an ihrer Statt gewisse Wahrscheinlichkeitsbehauptungen mit ersichtlich vagen Bestandstücken. Das jeweilige Gesetz erscheint nicht als eine von unzähligen theoretischen Möglichkeiten einer gewissen, obschon sachlich abgegrenzten Sphäre. Es ist die eine und alleinige Wahrheit, die jede andersartige Möglichkeit ausschließt und sich als einsichtig erkannte Gesetzlichkeit von allen Tatsachen dem Inhalt wie der Begründung nach rein erhält.

Man sieht aus diesen Betrachtungen, wie innig die beiden Hälften der psychologistischen Konsequenz — nämlich daß die logischen Gesetze nicht bloß existenziale Behauptungen über psychische Tatsächlichkeiten mit sich führen, sondern daß sie auch Gesetze für solche Tatsächlichkeiten sein müßten — Zusammenhängen. Die Widerlegung der ersten Hälfte ergab sich uns zunächst. Die der anderen erscheint darin mitbe|schlossen nach folgendem Argument: Wie jedes Gesetz, das der Erfahrung und Induktion aus Einzeltatsachen entstammt, ein Gesetz für Tatsachen ist, so ist umgekehrt jedes Gesetz für Tatsachen ein Gesetz aus Erfahrung und Induktion; und folglich sind von ihm, wie oben nachgewiesen, Behauptungen existenzialen Gehalts unabtrennbar. Selbstverständlich dürfen wir hier unter Tatsachengesetzen nicht auch die allgemeinen Aussagen befassen, welche rein begriffliche Sätze — d.i. Sätze, die sich als allgemeingültige Beziehungen auf Grund reiner Begriffe darstellen — auf Tatsächlichkeiten übertragen. Ist 3 > 2, so sind auch 3 Bücher jenes Tisches mehr als 2 Bücher jenes Schrankes. Und so allgemein für beliebige Dinge. Der reine Zahlensatz spricht aber nicht von Dingen, sondern von Zahlen in reiner AllgemeinheitFehlt in A. — die Zahl 3 ist 1 größer als die Zahl 2 — und Anwendung kann er nicht bloß finden auf individuelle, sondern auch auf "allgemeine" Gegenstände, z.B. auf Farben- und Tonspezies, auf Arten geometrischer Gebilde und dergleichen unzeitliche AllgemeinheitenA: u. dgl...

Wird dies alles zugestanden, so ist es natürlich ausgeschlossen, daß die logischen Gesetze (in ihrer Reinheit genommen)A: (wesentlich). Gesetze psychischer Betätigungen oder Produkte sind.

§ 24. Fortsetzung

Vielleicht wird mancher unserer Konsequenz zu entgehen suchen, indem er einwendet: Nicht jedes Gesetz für Tatsachen entspringt aus Erfahrung und Induktion. Man muß hier vielmehr unterscheiden: Jede Gesetzeserkenntnis beruht auf Erfahrung, aber nicht jede erwächst aus ihr in der Weise der Induktion, also in jenem wohlbekannten logischen Prozeß, der von singulären Tatsachen oder empirischen Allgemeinheiten niedriger Stufe zu den gesetzlichen Allgemeinheiten hinleitet. So sind im besonderen die logischen Gesetze erfahrungsmäßige, aber nicht induktive Gesetze. In der psychologischen Erfahrung abstrahieren wir die logischen Grundbegriffe und die mit ihnen gegebenen rein begrifflichen Verhältnisse. Was wir im einzelnen Fall vorfinden, erkennen wir mit einem Schlage als allgemeingültig, weil nur in den abstrahierten Inhalten gründend. So verschafft uns die Erfahrung ein unmittelbares Bewußtsein der Gesetzlichkeit unseres Geistes. Und wie wir hier der Induktion nicht bedürfen, so ist auch das Ergebnis nicht mit ihren Unvollkommenheiten behaftet, es hat nicht den bloßen Charakter der Wahrscheinlichkeit, sondern den apodiktischer Gewißheit, es ist nicht von vager, sondern von exakter Begrenzung, es schließt auch in keiner Weise Behauptungen existenzialen Gehalts ein.

Indessen, was man hier einwendet, kann nicht genügen. Niemand wird bezweifeln, daß die Erkenntnis der logischen Gesetze, als psychischer Akt, die Einzelerfahrung voraussetzt, daß sie ihre Grundlage hat in der konkreten Anschauung. Aber man vermenge nicht psychologische "Voraussetzungen" und "Grundlagen" der Gesetzeserkenntnis mit logischen Voraussetzungen, Gründen, Prämissen des Gesetzes; und demgemäß auch nicht die psychologische Abhängigkeit (z.B. in der Entstehung) mit der logischen Begründung und Rechtfertigung. Die letztere folgt einsichtig dem objektiven Verhältnis von Grund und Folge, während sich die erstere auf die psychischen Zusammenhänge in der Koexistenz und Sukzession bezieht. Niemand kann ernstlich behaupten, daß die etwa vor Augen stehenden konkreten Einzelfälle, auf "Grund" welcher die Einsicht in das Gesetz zustande kommt, die Funktion von logischen Gründen, von Prämissen haben, als ob aus dem Dasein des Einzelnen die Folge statthätte auf die Allgemeinheit des Gesetzes. Die intuitive Erfassung des Gesetzes mag psychologisch zwei Schritte verlangen: den Hinblick auf die Einzelheiten der Anschauung und die darauf bezogene gesetzliche Einsicht. Aber logisch ist nur eines da. Der Inhalt der Einsicht ist nicht Folgerung aus der Einzelheit.

Alle Erkenntnis "fängt mit der Erfahrung an", aber sie "entspringt" darum nicht schon aus der Erfahrung. Was wir behaupten, ist dies, daß jedes Gesetz für Tatsachen aus der Erfahrung entspringt, und darin liegt eben, daß es nur durch Induktion aus einzelnen Erfahrungen zu begründen ist. Gibt es einsichtig erkannte Gesetze, so können sie also nicht (unmittelbar) Gesetze für Tatsachen sein. Wo immer bisher unmittelbare Ein-sichtigkeit von Tatsachengesetzen angenommen wurdeA: Ich will es nicht geradezu als absurd hinstellen, daß ein Gesetz für Tatsachen unmittelbar einsichtig erkannt sei; aber ich leugne, daß es je vorkomme. Wo immer dergleichen bisher angenommen wurde., da stellte sich heraus, daß man entweder echte Tatsachengesetze, d.h. Gesetze der Koexistenz und Sukzession, vermengt hat mit idealen Gesetzen, denen die Beziehung auf zeitlich Bestimmtes an sich fremd ist; oder daß man den lebhaften Überzeugungsdrang, den die wohlvertrauten empirischen Allgemeinheiten mit sich führen, mit der Einsichtigkeit, die wir nur im Gebiete des rein Begrifflichen erleben, verwechselte.

Kann ein Argument dieser Art auch nicht entscheidend wirken, so kann es immerhin die Kraft anderweitiger Argumente verstärken. Noch ein solches sei hier angefügt.

Schwerlich wird jemand leugnen, daß alle rein logischen Gesetze ein und desselben Charakters sind; können wir von einigen zeigen, daß es unmöglich sei, sie als Gesetze über Tatsachen aufzufassenA: daß ihre Auffassung als Gesetze über Tatsachen unmöglich sei., so wird dasselbe von allen gelten müssen. Nun finden sich unter den Gesetzen auch solche, die sich auf Wahrheiten überhaupt beziehen, in denen also Wahrheiten die geregelten "Gegenstände" sind. Z.B. für jede Wahrheit A gilt, daß ihr kontradiktorisches Gegenteil keine Wahrheit ist. Für jedes Paar Wahrheiten A, B gilt, daß auch ihre konjunktiven und disjunktiven Verknüpfungen* Ich verstehe darunter den Sinn der Sätze "A und B", d. h. beides gilt, bzw. "A oder B", d. h. eines von beiden gilt — worin nicht liegt, daß nur eines gilt. Wahrheiten sind. Stehen drei Wahrheiten A, B, C in dem Verhältnis, daß A Grund ist für B, B Grund für C, so ist auch A Grund für C u. dgl. Es ist aber absurd, Gesetze, die für Wahrheiten als solche gelten, als Gesetze für Tatsachen zu bezeichnen. Keine Wahrheit ist eine Tatsache, d.i. ein zeitlich Bestimmtes. Eine Wahrheit kann freilich die Bedeutung haben, daß ein Ding ist, ein Zustand besteht, eine Veränderung von statten geht u. dgl. Aber die Wahrheit selbst ist über alle Zeitlichkeit erhaben, d.h. es hat keinen Sinn, ihr zeitliches Sein, Entstehen oder Vergehen zuzuschreiben. Am klarsten tritt die Absurdität für die Wahrheitsgesetze selbst hervor. Als Realgesetze wären sie Regeln der Koexistenz und Sukzession von Tatsachen, spezieller von Wahrheiten, und zu diesen Tatsachen, die sie regeln, müßten sie selbst, nämlich als Wahrheiten, gehören. Da schriebe ein Gesetz gewissen Tatsachen, genannt Wahrheiten, Kommen und Gehen vor, und unter diesen Tatsachen sollte sich nun, als eine neben anderen, das Gesetz selbst finden. Das Gesetz entstände und verginge nach dem Gesetz — ein offenbarer Widersinn. Und ähnlich, wenn wir das Wahrheitsgesetz als Koexistenzgesetz deuten wollten, als zeitlich Einzelnes und doch als allgemeine Regel für alles und jedes zeitlich Seiende maßgebend. Derartige Absurditäten** Man vgl. dazu die systematischen Ausführungen des VII. Kap. d. W.A: S.. über den skeptisch-relativistischen Widersinn jeder Auffassung, welche die logischen Gesetze von Tatsachen abhängig macht. sind unausweichlich, wenn man den fundamentalen Unterschied zwischen idealen und realen Objekten und dementsprechend den Unterschied zwischen Ideal- und Realgesetzen nicht beachtet oder nicht in rechtem Sinne versteht; immer wieder werden wir sehen, daß dieser Unterschied für die Streitfragen zwischen psychologistischer und reiner Logik entscheidend ist.

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First Edition
(1900) "Empiristische Consequenzen des Psychologismus", in: Husserl Edmund, Logische Untersuchungen. Erster Theil, Halle (Saale), Niemeyer, pp.60-77.