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pp. 214-229
Unsere bisherigen Untersuchungen waren vorwiegend kritisch. Die Unhaltbarkeit einer jeden, wie immer gearteten Form von empiristischer oder psychologistischer Logik glauben wir durch sie dargetan zu haben. Die Logik im Sinne einer wissenschaftlichen Methodologie hat ihre vornehmsten Fundamente außer
halb der Psychologie. Die Idee einer "reinen Logik" als einer theoretischen, von aller Empirie, also auch Psychologie, unabhängigen Wissenschaft, welche eine Technologie des wissenschaftlichen Erkennens (die Logik im gemeinen theoretisch-praktischen Sinne) allererst ermöglicht, muß als triftig zugestanden, die un
abweisbare Aufgabe, sie in ihrer Selbständigkeit aufzubauen, muß ernstlich in Angriff genommen werden. — Dürfen wir uns mit diesen Ergebnissen begnügen, ja dürfen wir hoffen, daß sie als Ergebnisse anerkannt werden? Also die Logik unserer Zeit hätte sich in untriftigen Bahnen vergeblich abgemüht — diese ihrer Erfolge ge
wisse, von so bedeutenden Forschern bearbeitete und durch weitverbreitete Anerkennung ausgezeichnete Wissenschaft?
das wankende Vertrauen wiederherzustellen. Man wird sich sagen, es muß doch wohl
Untersuchungen zu modifizieren sein. Es mag ja wirklich etwas für sich haben, die paar ┌rein logischen┐
tion empfindet, aber nicht den nötigen Mut der Konsequenz besitzt, zufrieden geben.
Die radikale Umgestaltung, welche die Logik im Sinne unserer Auffassung notwendig erfahren muß, dürfte übrigens schon darum auf Antipathie und Mißtrauen stoßen, weil sie leicht, zumal
bei oberflächlicher Betrachtung, als die pure Reaktion erscheinen könnte. Daß es auf dergleichen nicht abgesehen ist, daß die Wiederanknüpfung an berechtigte Tendenzen der älteren Philosophie nicht eine Restitution der traditionellen Logik ins Werk setzen will, dies müßte sich allerdings schon im genaueren
Hinblick auf den Inhalt unserer Analysen herausstellen; aber schwerlich dürften wir viel Hoffnung darauf setzen, durch solche Hinweise alles Mißtrauen überwinden und der Mißdeutung unserer Intentionen Vorbeugen zu können.
Auch der Umstand, daß wir in der Lage sind, uns auf die Autorität großer Denker, wie Kant, Herbart
eher dazu beitragen, das Mißtrauen zu verstärken.
Wir finden uns, dem Allgemeinsten nach, auf Kants Scheidung der reinen und angewandten Logik zurückgeführt. In der Tat, den hervorstechendsten seiner diesbezüglichen Äußerungen können wir zustimmen. Freilich nur unter passenden Kautelen.
Z.B. jene verwirrenden mythischen Begriffe, die Kant so sehr
Denkverhaltens, setzen in ihrem Begriffe die reine Logik — die ja das Normale definiert — voraus, und so wären wir, ernstlich auf sie rekurrierend, nicht eben klüger, als wenn wir in analogem Falle die Tanzkunst durch das Tanzvermögen (sc. das Vermögen kunstvoll zu tanzen), die Malkunst durch das Malvermögen usw.
erklären wollten. Die Termini Verstand und Vernunft nehmen wir vielmehr als bloße Anzeigen für die Richtung auf die "Denkform" und ihre idealen Gesetze, welche die Logik im Gegensatz zur empirischen Psychologie der Erkenntnis einzuschlagen hat. Also nach derartigen Einschränkungen, Deutungen, näheren Be
stimmungen fühlen wir uns Kants Lehren nahe.
Aber muß nicht eben diese Zusammenstimmung die Wirkung haben, unsere Auffassung der Logik zu kompromittieren? Die reine Logik (die eigentlich nur allein Wissenschaft sei) soll nach Kant ┌"kurz und trocken" sein, "wie es die schulgerechte
Darstellung einer Elementarlehre des Verstandes erfordert."┐
dem Gedanken dieser Zurückschraubung der Wissenschaft auf den Standpunkt der aristotelisch-scholastischen Logik wird sich niemand ┌befreunden┐
scholastische Ausspinnung der Syllogistik, eingeleitet von einigen feierlich vorgetragenen Begriffsbestimmungen — das ist keine eben erhebende Aussicht.
Wir würden darauf natürlich entgegnen: Daß wir uns Kants Auffassung der Logik näher fühlen als etwa derjenigen Mills
daß er das Wesen der intendierten Disziplin klar durchschaut und sie selbst, nach ihrem angemessenen Gehalt, zur Darstellung gebracht hat.
Näher als Kant steht uns übrigens Herbart und hauptsäch
lich darum, weil bei ihm ein kardinaler Punkt ┌zu schärferer Hervorhebung gelangt┐
Stellung in ┌rein logischem┐
"Jedes Gedachte" — so heißt es z.B. in dem psychologischen Hauptwerke
griffe zueignen, während außerdem der Begriff des Menschen,
der verschiedenen Akte des Denkens, wodurch, psychologisch betrachtet, ein Begriff erzeugt und hervorgebracht wird." "Die entia der älteren Philosophie, selbst noch bei Wolff, sind", ┌so┐
gehört hierher. Er bedeutet nichts anderes, als: die Begriffe sind etwas völlig Unzeitliches; welches von ihnen in allen ihren logischen Verhältnissen wahr ist, daher auch die aus ihnen gebildeten wissenschaftlichen Sätze und Schlüsse für die Alten, so wie für uns
Stellung, welche den Begriff in logischer Bedeutung zu ihrem Vorgestellten hat; oder durch welche der letztere (das Vorzustellende) wirklich vorgestellt wird. So genommen, hat nun allerdings ein jeder seine Begriffe für sich; Archimedes untersuchte seinen eigenen Begriff vom Kreise, und Newton gleichfalls den seinigen; es waren
dies zwei Begriffe im psychologischen Sinne, wiewohl in logischer Hinsicht nur ein einziger für alle Mathematiker."
Ähnliche Ausführungen finden wir im 2. Abschnitt des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie. Gleich der erste Satz lautet:
als Tätigkeiten unseres Geistes, teils in Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird. In letzterer Beziehung heißen sie Begriffe, welches Wort, indem es das Begriffene bezeichnet, zu abstrahieren gebietet von der Art und Weise, wie wir den Gedanken empfangen, produzieren ┌und┐
a. a. O. leugnet Herbart, daß
zwei Begriffe vollkommen gleich sein können; denn sie "würden sich in Hinsicht dessen, was durch sie gedacht wird, nicht unterscheiden, sie würden sich also
rufen, von unzähligen
Naturgeschichte des Verstandes und glauben, dessen angeborene Gesetze und Denkformen in ihr zu erkennen, wodurch die Psychologie verdorben wird." "Man kann", heißt es an einer anderen Stelle,
gen Lehren, von den Oppositionen und Subordinationen der Begriffe bis zu den Kettenschlüssen, irgendetwas Psychologisches voraussetzen. Die ganze reine Logik hat es mit Verhältnissen des Gedachten, des Inhalts unserer Vorstellungen (obgleich nicht speziell mit diesem Inhalte selbst) zu tun; aber überall nirgends mit der Tätigkeit 40 des Denkens, nirgends mit der psychologischen, also metaphysischen, Möglichkeit desselben. Erst die angewandte Logik bedarf, gerade so wie die angewandte Sittenlehre, psychologischer Kenntnisse, insofern
In dieser Hinsicht finden wir manche lehrreiche und wichtige Ausführungen, welche die moderne Logik mehr beiseite gescho
ben, als ernstlich erwogen hat. Aber auch diese Anknüpfung an Herbarts Autorität will nicht mißverstanden sein. Sie meint nichts weniger als Rückkehr zur Idee und Behandlungsweise der Logik, die Herbart vorgeschwebt, und die sein gediegener Schüler Drobisch in so hervorragender Weise realisiert hat.
Gewiß hat Herbart, besonders in dem oben angezogenen Punkte, in der Betonung der Idealität des Begriffs, große Verdienste. Schon die Prägung seines Begriffes vom Begriff ist
über bloß vereinzelte und unvollkommen gereifte
Schon das war schädlich, daß Herbart die fundamentale
Äquivokation von Ausdrücken wie Inhalt, Vorgestelltes, Gedachtes, nicht bemerkt hat, wonach sie einerseits den idealen, identischen Bedeutungsgehalt der entsprechenden Ausdrücke, und andererseits das jeweilig vorgestellte Gegenständliche bezeichnen. Das einzig klärende Wort in der Bestimmung des Be
griffes vom Begriff hat Herbart, soweit ich sehe, nicht gesprochen, nämlich daß Begriff oder Vorstellung im logischen Sinne nichts anderes ist als die identische Bedeutung der entsprechenden Ausdrücke.
Wichtiger aber ist das Grundversehen Herbarts, vermöge
dessen er das Wesentliche der Idealität des logischen Begriffs in seine Normalität setzt. Dadurch verschiebt sich ihm der Sinn der wahrhaften und echten Idealität, der Bedeutungseinheit in der verstreuten Erlebnis-Mannigfaltigkeit. Gerade der fundamentale Sinn der Idealität, nach dem sich Ideales und Reales
eine unüberbrückbare Kluft scheiden, geht verloren, und der ihm unterschobene der Normalität verwirrt die logischen Grundauf
reinen, theoretischen Wissenschaft, die hinter dieser Moral steckt (und ähnlich bei der Moral im gemeinen Sinne), hat er keine Vorstellung und noch weniger von dem Umfange und den natürlichen Grenzen
Herbarts Logik nicht unberechtigt der Vorwurf der Dürftigkeit, ganz ebenso wie die Kantsche und
hang mit jenem fundamentalen Versehen die Verirrung der Herbartschen Erkenntnistheorie, die sich ganz unfähig zeigt, das scheinbar so tiefsinnige Problem der Harmonie zwischen dem subjektiven Verlauf des logischen Denkens und dem realen der äußeren Wirklichkeit als das zu erkennen, was es ist, und als was
wir es späterhin nachweisen werden, nämlich als ein aus Unklarheit erwachsenes Scheinproblem.
All das gilt auch von den Logikern der Herbartschen Einflußsphäre und speziell auch von Lotze, der manche Anregungen Herbarts aufgenommen, mit großem Scharfsinn durchdacht
und originell weiter ausgeführt hat. Wir verdanken ihm viel; aber leider finden wir auch seine schönen Anläufe durch die Herbart-sche Verwirrung der ┌spezifischen┐
wird hierdurch zu einem unharmonischen Zwitter von psycholo-gistischer und reiner Logik.
Unter den großen Philosophen, auf welche die hier vertretene Auffassung der Logik zurückweist, nannten wir oben auch Leibniz. Ihm stehen wir relativ am nächsten. Auch Herbarts
logischen Überzeugungen finden wir uns nur inso
┌eins┐
Das treibende Motiv zu Beginn der neueren Philosophie, die Idee einer Vervollkommnung und Neugestaltung der Wissen
schaften, ┌führte┐
wahre Hilfen zu bieten vermöchte.
Ich folge hier den Andeutungen in den Nouveaux Essais, L. IV, ch. XVII. Vgl. z. B. § 4, Opp. phil., Erdm. 395a, wo die Lehre von den syllogistischen Formen, erweitert zur ganz allgemeinen Lehre von den
les collèges, mais tout raisonnement qui conclut par la force de la forme, et où l’on n’a besoin de suppléer aucun article; de sorte qu’un sorites, un autre tissu de syllogisme, qui evite la répétition, même un compte bien dressé, un calcul d'Algèbre, une analyse des infinitésimales me seront à peu
prédémontrée, en sorte qu’on est sûr de ne s’y point tromper." Die Sphäre der hier konzipierten Mathématique universelle wäre also sehr viel weiter als die Sphäre des logischen Kalküls, mit dessen Konstruktion sich Leibniz viel mühte, ohne damit ganz zu Rande zu
ganze Mathesis universalis im gewöhnlichen quantitativen Sinne mitbefassen (welche Leibnizens engsten Begriff von Mathesis universalis ausmacht), zumal er die rein mathematischen Argumente auch sonst wiederholt als "argumenta in forma" bezeichnet hat. Desgleichen müßte aber auch dahin gehören die Ars combinatoria, seu Speciosa
generalis, seu doctrina de formis abstracta (vgl. die mathematischen Schriften der Pertzschen Ausgabe Bd. VII, S. 24, 49 ff., 54, 159, 205 ff., u. ö.), die den fundamentalen Teil der Mathesis universalis in einem weiteren, aber nicht in dem obigen weitesten Sinne ausmacht, während diese selbst von der Logik als subordiniertes Gebiet unter
schieden wird. Die für uns besonders interessante Ars combinatoria definiert Leibniz a. a. O. VII, S. 61 als "doctrina de formulis seu ordi-nis, similitudinis, relationis etc. expressionibus in Universum". Sie wird hier als scientia generalis de qualitate der scientia generalis de quantitate (der allgemeinen Mathematik im gewöhnlichen Sinn) gegenüberge
stellt. Vgl. dazu die wertvolle Stelle in Gerhardts Ausgabe der philos. Schriften, Bd. VII, S. 297 f.: "Ars Combinatoria speciatim mihi illa est scientia (quae etiam generaliter characteristica sive speciosa dici posset), in qua tractatur de rerum formis sive formulis in universum, hoc est de qualitate in genere sive de simili et dissimili, prout aliae
atque aliae formulae ex ipsis a, b, c etc. (sive quantitates sive aliud quod-dam repraesentent) inter se combinatis oriuntur, et distinguitur ab Algebra quae agit de formulis ad quantitatem applicatis, sive de aequali et inaequali. Itaque Algebra subordinatur Combinatoriae, ejusque regulis continue utitur, quae tamen longe generaliores sunt, nec in Algebra tan-40 tum sed et in arte deciphratoria, in variis ludorum generibus, in ipsa geometria lineariter ad veterum morem tractata, denique in omnibus ubi similitudinis ratio habetur locum habent." — Die seiner Zeit so weit vorauseilenden Intuitionen Leibnizens erscheinen dem Kenner der modernen "formalen" Mathematik und der mathematischen Logik als 45 scharf begrenzt und in hohem Grade bewundernswert. Letzteres betrifft, wie ich aus|drücklich bemerke, auch Leibnizens Fragmente
Zugleich weist Leibniz in wiederholten und nachdrücklichen
Förderungen des empirischen Denkens und dessen logischer Kritik.
(syllogistischen und asyllogistischen) Schlüsse, in genialen Intuitionen vorausgesehen. Er ist durch seine Combinatoria auch der geistige Vater der reinen Mannifaltigkeitslehre, dieser der reinen Logik nahestehenden, ja mit ihr innig vereinten Disziplin. (Vgl. unten § 69 und 70, S. 247ff.).
Mit ┌alledem┐
von mathematischer Form, die als solche, ganz so wie etwa die reine Arithmetik, den Beruf zur praktischen Erkenntnisregelung ohne weiteres in sich schließt.
Doch man wird Leibnizens Autorität noch weniger gelten
lassen als diejenige Kants oder Herbarts, zumal er den großen
geführte und vermeintlich ergebnisreiche und gesicherte Wissenschaft. Und ihre Wirkung muß um so geringer sein, als bei ihnen ein hinreichend abgeklärter und positiv ausgebauter Begriff von der fraglichen Disziplin fehlt. Es ist klar: Wollen wir nicht auf halbem Wege stehen bleiben und unsere kritischen Überlegungen
nicht der Gefahr der Unfruchtbarkeit aussetzen, so müssen wir uns der Aufgabe unterziehen, die Idee der reinen Logik auf hinreichend breiter Basis zu konstruieren. Nur dadurch, daß wir in sachhaltigen Einzelausführungen eine genauer umrissene Vorstellung von dem Gehalt und Charakter ihrer
wesentlichen Untersuchungen bieten und ihren Begriff bestimmter herausarbeiten, können wir das Vorurteil beseitigen, als ob sie es mit einem geringfügigen Gebiet von ziemlich trivialen Sätzen zu tun habe. Wir werden im Gegenteil sehen, daß die Ausdehnung der Disziplin sehr beträchtlich ist, und zwar nicht bloß im Hin
blick auf ihren Gehalt an systematischen Theorien, sondern vor allem im Hinblick auf die schwierigen und wichtigen Untersuchungen, welche für ihre philosophische Grundlegung und Schätzung erforderlich sind.
Übrigens wäre die vermeintliche Geringfügigkeit des rein logi
schen Wahrheitsgebietes für sich allein kein Argument für seine Behandlung als eines bloßen Behelfes der logischen Kunstlehre. Es ist ein Postulat des rein theoretischen Interesses, das, was in sich eine theoretisch geschlossene Einheit
außenliegende Zwecke, darzustellen. Haben übrigens die bisherigen Untersuchungen zum mindesten dies klargestellt, daß ein richtiges Verständnis des Wesens der reinen Logik und ihrer einzigartigen Stellung zu allen anderen Wissenschaften eine der
Erkenntnistheorie nur nicht als eine Disziplin verstanden werden, welche der Metaphysik nachfolgt oder gar mit ihr koinzidiert, sondern welche ihr, wie der Psychologie und allen anderen Disziplinen, vorhergeht.
Wie weit der Abstand auch ist, der meine Auffassung der Logik von derjenigen F. A. Langes trennt, darin bin ich mit ihm einig und sehe ich ein Verdienst um unsere Disziplin, daß er in einer Zeit vorherrschender Unterschätzung der reinen Logik mit Entschiedenheit für
die Überzeugung eingetreten ist, daß "die Wissenschaft von dem Versuch einer abgesonderten Behandlung der rein formalen Elemente der Logik eine wesentliche Förderung zu erwarten habe".
freilich nicht zu wesenhafter Klarheit zu bringen vermochte. Nicht ohne Grund gilt ihm die Absonderung der reinen Logik als Auslösung derjenigen Lehren, die er als "das
Und sehr beherzigenswert ist, was er dann beifügt: "Die bloße Tatsache des Vorhandenseins zwingender Wahrheiten ist eine so wichtige, daß jede Spur derselben sorgfältig verfolgt werden muß. Eine Unterlassung dieser Untersuchung wegen des geringen Wertes der formalen Logik oder wegen ihrer Unzulänglichkeit als Theorie des
menschlichen Denkens müßte von diesem Standpunkte aus zunächst schon als Verwechslung theoretischer und praktischer Zwecke zurückgewiesen werden. Ein solcher Einwand wäre etwa so anzusehen, wie wenn ein Chemiker sich weigern wollte, einen zusammengesetzten Körper zu analysieren, weil derselbe in seinem zusammenge
System a priori gültiger Wahrheiten die höchste Beachtung zukommt."
Während Lange für die Idee einer rein formalen Logik so warm eintrat, hatte er keine Ahnung, daß sie längst schon in relativ hohem Maße realisiert war. Ich meine natürlich nicht die vielen Darstellungen
der formalen Logik, welche zumal in den Schulen Kants und Herbarts erwuchsen, und welche ┌den Ansprüchen, die sie erhoben, nur zu wenig entsprachen┐
an systematischen Entwürfen der Logik darbietet. Zwar hat Bolzano die selbständige Abgrenzung einer reinen Logik in unserem Sinne nicht ausdrücklich erörtert und befürwortet; aber de facto hat er sie in den beiden ersten Bänden seines Werkes, nämlich als Unterlage einer Wissenschaftslehre im Sinne seiner Auffassung, in einer Reinheit und
wissenschaftlichen Strenge dargestellt und mit einer solchen Fülle von originellen, wissenschaftlich gesicherten und jedenfalls fruchtbaren Gedanken ausgestattet, daß er
danken und Grundauffassungen teilt, und dem er philosophisch auch sonst zunächst steht. Freilich hat auch er den Reichtum der logischen Intuitionen Leibnizens nicht ganz ausgeschöpft, zumal nicht in Hinsicht auf die mathematische Syllogistik und die mathesis univer-salis. Doch war vom Nachlaß Leibnizens damals noch zu wenig be
kannt, und es fehlte die "formale" Mathematik und Mannigfaltigkeitslehre als der Schlüssel des Verständnisses.
Mit jeder Zeile bewährt sich Bolzano in seinem bewundernswerten Werke als der scharfsinnige Mathematiker, der in der Logik denselben Geist wissenschaftlicher Strenge walten läßt, den er selbst
erste in die theoretische Behandlung der Grundbegriffe und Grundsätze der mathematischen Analysis eingeführt, und die er hierdurch auf eine neue Basis gestellt hat: ein Ruhmestitel, den einzuzeichnen die Geschichte der Mathematik nicht vergessen hat. Von der tiefsinnigen Vieldeutigkeit der ┌Systemphilosophie┐
ausging, gedankenvolle Weltanschauung und Weltweisheit als theo
sind von mathematischer Schlichtheit und Nüchternheit, aber auch von mathematischer Klarheit und Strenge. Erst ein tieferes Eingehen auf Sinn und Zweck dieser Bildungen im Ganzen der Disziplin enthüllt, welch große Geistesarbeit und Geistesleistung in den nüchternen Bestimmungen oder den formelhaften Darstellungen steckt. Dem in den
Vorurteilen, in den Denk- und Sprechgewohnheiten der idealistischen Schulen erwachsenen Philosophen — und so ganz ┌sind wir alle noch nicht ihren Nachwirkungen┐
sich die Logik als Wissenschaft aufbauen, aus ihm muß sie lernen, was ihr nottut: mathematische Schärfe der Unterscheidungen, mathematische Exaktheit in den Theorien. Sie wird dann auch einen anderen Standpunkt für die Schätzung der "mathematisierenden" Theorien der Logik gewinnen, welche die Mathematiker,
Mißachtung unbekümmert, so erfolgreich aufbauen. Denn dem Geist der Bolzanoschen Logik fügen sie sich durchaus ein, obschon Bolzano selbst sie noch nicht geahnt hat. Jedenfalls wird einem künftigen Geschichtsschreiber der Logik nicht mehr das Versehen des sonst so gründlichen Ueberweg unterlaufen dürfen, ein Werk vom Range
der Wissenschaftslehre auf eine Stufe zu stellen mit — Knigges Logik für Frauenzimmer.
So sehr Bolzanos Leistung aus ┌einem┐
wähnen, so sind besonders empfindlich die Mängel in erkenntnistheoretischer Richtung. Es fehlen (oder es sind ganz unzureichend) die Untersuchungen, welche die eigentlich philosophische Verständlich-machung der logischen Denkleistungen, und damit die philosophische Schätzung der logischen Disziplin selbst, betreffen. Diesen Fragen
kann allenfalls der Forscher ausweichen, der in sicher abgegrenztem Gebiet, wie der Mathematiker, Theorie auf Theorie baut, ohne sich um die Prinzipienfragen viel kümmern zu müssen; nicht aber, wer vor der Aufgabe steht, ┌demjenigen┐
Bolzanos lehren, daß es sich bei ihnen keineswegs um bloße Kommentationen oder kritisch nachbessernde Darstellungen Bolzanoscher Gedankenbildungen handelt, obschon sie andererseits ┌entscheidende Anstöße┐
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