Das Princip der Denkökonomie und die Logik

Edmund Husserl

pp. 196-213


§ 52. Einleitung

Nah verwandt mit dem Psychologismus, dessen Widerlegung uns bisher beschäftigt hat, ist eine andere Form empiristischer Begründung der Logik und Erkenntnistheorie, welche in den letzten Jahren in besonderem Maße Ausbreitung gewinnt: nämlich die biologische Begründung dieser Disziplinen mittels des Prinzips vom kleinsten Kraftmaß, wie Avenarius, oder des Prinzips von der Ökonomie des Denkens, wie Mach es nennt. Daß diese neue Richtung schließlich wieder in einen Psychologismus einmündet, tritt am deutlichsten in der "Psychologie" von Cornelius hervor. In diesem Werke wird das fragliche Prinzip ausdrücklich als "Grundgesetz des Verstandes" und zugleich als ein "allgemeines psychologisches Grundgesetz"* H. Cornelius, Psychologie, S. 82 u.,86. hingestellt. Die Psychologie (und speziell die Psychologie der Erkenntnisvorgänge), auf diesem Grundgesetz erbaut, soll zugleich die Grundlage der Philosophie überhaupt liefern.** a. a. O., S. 3-9. ("Methode und Stellung der Psychologie".)

Es will mir scheinen, daß in diesen denkökonomischen Theorien wohlberechtigte und in passender Beschränkung sehr fruchtbare Gedanken eine Wendung erhalten, die im Falle allgemeiner Annahme, den Verderb aller echten Logik und Erkenntnistheorie auf der einen und der Psychologie auf der andern Seite bedeuten würde.*** Die ablehnende Kritik, welche ich in diesem Kapitel an einer Haupttendenz der Avenariusschen Philosophie üben muß, verträgt sich sehr wohl mit aller Hochschätzung für den der Wissenschaft allzufrüh entrissenen Forscher, sowie für den gediegenen Ernst seiner wissenschaftlichen Arbeiten.

Wir erörtern zunächst den Charakter des Avenarius-Mach-schen Prinzips als eines teleologischen Anpassungsprinzips; hierauf bestimmen wir seinen wertvollen Gehalt und die berechtigten Ziele der darauf zu gründenden Untersuchungen für die psychische Anthropologie und für die praktische Wissenschaftslehre; zum Schluß erweisen wir seine Unfähigkeit, für eine Begründung der Psychologie und vor allem der reinen Logik und Erkenntnistheorie irgendwelche Beihilfe zu leisten.

§ 53. Der teleologische Charakter des Mach-Avenariusschen Prinzips und die wissenschaftliche Bedeutung der Denkökonomik* Nachdem sich das Machsche Wort "denkökonomisch" allgemein eingebürgert hat, wird man mir wohl auch die bequeme Bildung "Denkökonomik" zur Bezeichnung des wissenschaftlichen Inbegriffes denkökonomischer Untersuchungen — wenigstens innerhalb der folgenden Blätter — hingehen lassen.

Wie immer das Prinzip ausgesprochen werden mag, es hat den Charakter eines Entwicklungs- bzw. Anpassungsprinzips, es betrifft die Auffassung der Wissenschaft als möglichst zweckmäßiger (ökonomischer, kraftersparender) Anpassung der Gedanken an die verschiedenen Erscheinungsgebiete.

Avenarius faßt das Prinzip im Vorwort seiner Habilitationsschrift** R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung, Leipzig 1876, S. III f. in die Worte: "Die Änderung, welche die Seele ihren Vorstellungen bei dem Hinzutritt neuer Eindrücke erteilt, ist eine möglichst geringe." Es heißt aber bald darauf: "Insofern aber die Seele den Bedingungen organischer Existenz und deren Zweckmäßigkeitsanforderungen unterworfen ist, wird das angezogene Prinzip zu einem Prinzip der Entwicklung: Die Seele verwendet zu einer Apperzeption nicht mehr Kraft als nötig und gibt bei einer Mehrheit möglicher Apperzeptionen derjenigen den Vorzug, welche die gleiche Leistung mit einem geringeren Kraftaufwand bzw. mit dem gleichen Kraftaufwand eine größere Leistung ausführt; unter begünstigenden Umständen zieht die Seele selbst einem augenblicklich geringeren Kraftaufwand, mit welchem aber eine geringere Wirkungsgröße bzw. Wirkungsdauer verbunden ist, eine zeitweilige Mehranstrengung vor, welche um soviel größere bzw. andauerndere Wirkungsvorteile verspricht."

Die größere Abstraktheit, welche Avenarius durch Einführung des Apperzeptionsbegriffes bewirkt, ist bei der Weitfaltigkeit und Inhaltsarmut desselben teuer erkauft. Mach stellt mit Recht an die Spitze, was bei Avenarius als Resultat umständlicher und im ganzen wohl zweifelhafter Deduktionen erscheint; nämlich, daß die Wissenschaft eine möglichst vollkommene Orientierung in den bezüglichen Erfahrungsgebieten, eine möglichst ökonomische Anpassung unserer Gedanken an sie bewirke. Er liebt es übrigens nicht (und wieder mit Recht), von einem Prinzip zu sprechen, sondern schlechthin von der "ökonomischen Natur" der wissenschaftlichen Forschung, von der "denkökonomischen Leistung" der Begriffe, Formeln, Theorien, Methoden u. dgl.

Es handelt sich bei diesem Prinzip also nicht etwa um ein Prinzip im Sinne rationaler Theorie, um ein exaktes Gesetz, das fähig wäre, als Grund einer rationalen Erklärung zu fungieren (wie die rein-mathematischen oder mathematisch-physikalischen Gesetze es können), sondern um einen jener wertvollen teleologischen Gesichtspunkte, welche in den biologischen Wissenschaften überhaupt von großem Nutzen sind und sich sämtlich dem allgemeinen Entwicklungsgedanken angliedern lassen.

Die Beziehung zur Selbsterhaltung und Gattungserhaltung liegt hier ja offen zutage. Das tierische Handeln wird bestimmt durch Vorstellungen und Urteile. Wären diese dem Verlauf der Ereignisse nicht hinreichend angepaßt, könnte vergangene Erfahrung nicht nutzbar gemacht, das Neue nicht vorausgesehen, Mittel und Zwecke nicht angemessen zusammengeordnet werden — all das mindestens im groben Durchschnitt, im Lebenskreise der betreffenden Individuen und mit Beziehung auf die ihnen drohenden Schädlichkeiten oder ihnen günstigen Nützlichkeiten — so wäre eine Erhaltung nicht möglich. Ein Wesen von menschenähnlicher Art, das bloßZusatz von B. Empfindungsinhalte erlebte, dasA: aber. keine Assoziationen vollzöge, keine Vorstellungsgewohnheiten bildete; ein Wesen also, das der Fähigkeit entbehrte, Inhalte gegenständlich zu deuten, äußere Dinge und Ereignisse wahrzunehmen, sie gewohnheitsmäßig zu erwarten oder sich in der Erinnerung wieder zu vergegenwärtigen, und das in all diesen Erfahrungsakten durchschnittlichen Erfolges nicht sicher wäre — wie könnte das bestehen bleiben? Schon Hume hat in dieser Hinsicht von "einer Art vorbestimmter Harmonie zwischen dem Laufe der Natur und der Folge unserer Ideen" gesprochen,* Hume, An Enquiry concerning Human Understanding, Sect. V, Part. II. (Essays, ed. Green a. Grose, Vol. II, p. 46.) und die moderne Entwicklungslehre hat es nahegelegt, diesen Gesichtspunkt weiter zu verfolgen, und die hierhergehörigen Teleologien der geistigen Konstitution im einzelnen zu erforschen. Es ist sicherlich ein Gesichtspunkt von nicht minderer Fruchtbarkeit für die psychische Biologie, als er es für die physische schon längst ist.

Natürlich ordnet sich ihm nicht bloß die Sphäre des blinden, sondern auch die des logischen, des wissenschaftlichen Denkens ein. Der Vorzug des Menschen ist der Verstand. Der Mensch ist nicht bloß überhaupt ein Wesen, das sich wahrnehmend und erfahrendA: vorstellend und urteilend. nach seinen äußeren Lagen richtet; er denkt auch, er überwindet durch den Begriff die engen Schranken des Anschaulichen. In der begrifflichen Erkenntnis dringt er bis zu den strengen Kausalgesetzen durch, die es ihm gestatten, in ungleich größerem Umfange und mit ungleich größerer Sicherheit, als dies sonst möglich wäre, den Lauf der künftigen Erscheinungen vorauszusehen, den Verlauf der vergangenen zu rekonstruieren, die möglichen Verhaltungsweisen der umgebenden Dinge im voraus zu berechnen und sie sich praktisch zu unterwerfen. "Science d’où prévoyance, prévoyance d’où action", so spricht es Comte treffend aus. Wie vieles Leiden der einseitig überspannte Erkenntnistrieb dem einzelnen Forscher, und gar nicht selten, bringen mag: schließlich kommen dieA: seine. Früchte, kommen die Schätze der Wissenschaft der ganzen Menschheit doch zugute.

In dem eben Ausgeführten war nun von Ökonomie des Denkens allerdings noch keine Rede. Aber dieser Gedanke drängt sich sofort auf, sowie wir genauer erwägen, was die Idee der Anpassung fordert. Ein Wesen ist offenbar um so zweckmäßiger konstituiert, d.h. seinen Lebensbedingungen um so besser angepaßt, je schneller und mit je geringerem Kraftaufwand es jeweils die für seine Selbstförderung notwendigen oder günstigen Leistungen zu vollführen vermag. Angesichts irgendwelcher (durchschnittlich einer gewissen Sphäre angehörigen und nur mit einer gewissen Häufigkeit auftretenden) Schädlichkeiten oder Nützlichkeiten wird es nun schneller zur Abwehr bzw. zum Angriff bereit und hierin erfolgreich sein, es wird um so mehr überschüssige Kraft übrig behalten, neuen Schädlichkeiten entgegenzutreten bzw. neue Nützlichkeiten zu realisieren. Natürlich handelt es sich hier um vage, nur roh aufeinander abgestimmte und von uns abzuschätzende Verhältnisse, aber immerhin um solche, über die sich hinreichend bestimmt reden läßt, und die, mindestens innerhalb gewisser Gebiete, im großen und ganzen lehrreich abzuwägen sind.

Sicher gilt dies von dem Gebiete der geistigen Leistungen. Nachdem sie als erhaltungsfördernd erkannt sind, kann man sie unter dem ökonomischen Gesichtspunkt betrachten und die tatsächlich bei dem Menschen realisierten Leistungen teleologisch prüfen. Man kann auch, sozusagen a priori, gewisse Vollkommenheiten als denkökonomisch empfohlen dartun und sie dann in den Formen und Wegen unseres Denkverfahrens — sei es allgemein, sei es bei den fortgeschritteneren Geistern oder in den Methoden der wissenschaftlichen Forschung — als realisiert nachweisen. Jedenfalls eröffnet sich hier eine Sphäre umfangreicher, dankbarer und lehrreicher Untersuchungen. Das Gebiet des Psychischen ist eben ein Teilgebiet der Biologie, und so bietet es denn nicht nur Raum für abstrakt-psychologische Forschungen, die, nach Art der physikalischen, auf das Elementargesetzliche abzielen, sondern auch für konkret-psychologische und speziell für teleologische Forschungen. Diese letzteren konstituieren die psychische Anthropologie als das notwendige Gegenstück der physischen, sie betrachten den Menschen in der Lebensgemeinschaft der Menschheit und in weiterer Folge in derjenigen des gesamten irdischen Lebens.

§ 54. Nähere Darlegung der berechtigten Ziele einer Denkökonomik, hauptsächlich in der Sphäre der rein deduktiven Methodik. Ihre Beziehung zur logischen Kunstlehre

Speziell auf die Sphäre der Wissenschaft angewendet, kann der denkökonomische Gesichtspunkt bedeutsame Resultate ergeben, er kann helles Licht werfen auf die anthropologischen Gründe der verschiedenen Forschungsmethoden. Ja manche der fruchtbarsten und für die fortgeschrittensten Wissenschaften charakteristischen Methoden können nur durch Hinblick auf die Eigenheiten unserer psychischen Konstitution zu befriedigendem Verständnis gebracht werden. Vortrefflich sagt Mach in dieser Hinsicht: "Wer Mathematik treibt, ohne sich in der angedeuteten Richtung Aufklärung zu verschaffen, muß oft den unbehaglichen Eindruck erhalten, als ob Papier und Bleistift ihn selbst an Intelligenz überträfen."* E. Mach, Die MechanikB: Mathematik. In der 3. Auflage berichtigt. in ihrer Entwicklung (1883), S. 460. Die Stelle ist wert, vollständig zitiert zu werden. Es heißt weiter: "Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsgegenstand betrieben, ist kaum bildender als die Beschäftigung mit Kabbala oder dem mystischen Quadrat. Notwendig entsteht dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre Früchte trägt."

Es ist hier folgendes zu bedenken. Zieht man in Erwägung, wie beschränkt die intellektuellen Kräfte des Menschen sind, und des näheren, wie eng die Sphäre ist, innerhalb welcher sich die noch vollverständlichen Komplikationen abstrakter Begriffe halten, und wie anstrengend schon das bloße Verstehen derartiger, in eigentlicher Weise vollzogener Komplikationen ist; überlegt man weiter, wie wir in ähnlicher Weise in der eigentlichen Auffassung des Sinnes auch nur mäßig komplizierter Satzzusammenhänge beschränkt sind und erst recht im wirklichen und einsichtigen Vollzuge von nur mäßig komplizierten Deduktionen; überlegt man endlichA: weiter., wie gering a fortiori die Sphäre ist, in der sich die aktive, volleinsichtige, überall mit den Gedanken selbst sich abmühende Forschung ursprünglich bewegen kann: so muß es wundernehmen, wie überhaupt umfassendere rationale Theorien und Wissenschaften zustande kommen können. So ist es z.B. ein ernstes Problem, wie mathematische Disziplinen möglich sind, Disziplinen, in welchen nicht relativ einfache Gedanken, sondern wahre Türme von Gedanken und tausendfältig ineinandergreifenden Gedankenverbänden mit souveräner Freiheit bewegt und durch Forschung in immer sich steigender Komplikation geschaffen werden.

Das vermag Kunst und Methode. Sie überwinden die Unvollkommenheiten unserer geistigen Konstitution und gestatten uns indirekt, mittels symbolischer Prozesse und unter Verzichtleistung auf Anschaulichkeit, eigentliches Verständnis und Evidenz, Ergebnisse abzuleiten, die völlig sicher, weil durch die allgemeine Begründung der Leistungskräftigkeit der Methode ein für allemal gesichert sind. Alle hierher gehörigen Künstlichkeiten (welche man im Auge zu haben pflegt, wo in einem gewissen prägnanten Sinne überhaupt von Methode die Rede ist) haben den Charakter von denkökonomischen Vorkehrungen. Sie erwachsen historisch und individuell aus gewissen natürlichen denkökonomischen Prozessen, indem die praktisch-logische Reflexion des Forschers sich die Vorteile dieser zum einsichtigen Verständnis bringt, sie nun vollbewußt vervollkommnet, künstlich verknüpft und auf solcheA: solcher. Art kompliziertere, aber auch unvergleichlich leistungsfähigere Denkmaschinerien herstellt, als es die natürlichen sind. Also auf einsichtigem Wege und mit beständiger Rücksicht auf die Besonderheit unserer geistigen Konstitution* Natürlich heißt das nicht: unter Beihilfe der wissenschaftlichen Psychologie. erfinden die Bahnbrecher der Forschung Methoden, deren allgemeine Berechtigung sie ein für allemal nachweisen. Ist dies geschehen, dann können diese Methoden in jedem gegebenen Einzelfall uneinsichtig, sozusagen mechanisch befolgt werden, die objektive Richtigkeit des Resultates ist gesichert.

Diese weitgehende Reduktion der einsichtigen auf mechanische Denkprozesse, wodurch ungeheure Umkreise auf direktem Wege unvollziehbarer Denkleistungen auf einem indirekten Wege bewältigt werden, beruht auf der psychologischen Natur des signi-tiv-symbolischen Denkens. Dieses spielt seine unermeßliche Rolle nicht bloß bei der Konstruktion blinder Mechanismen — nach Art der Rechenvorschriften für die vier Spezies und ebenso für höhere Operationen mit dekadischen Zahlen, wo das Resultat (evtl. mit Hilfe von Tabellen für Logarithmen, trigonometrische Funktionen u. dgl.) ohne jede Mitwirkung einsichtigen Denkens hervorspringt — sondern auch in den Zusammenhängen einsichtigen Forschens und Beweisens. Da wäre z.B. zu erwähnen die merkwürdige Verdoppelung aller rein mathematischen Begriffe, wonach, im besonderen in der Arithmetik, die allgemein arithmetischen Zeichen zunächst im Sinne der ursprünglichen Definition als Zeichen für die betreffenden Zahlbegriffe stehen und dann vielmehr als reine Operationszeichen fungieren, nämlich als Zeichen, deren Bedeutung ausschließlich durch die äußeren Operationsformen bestimmt ist; ein jedes gilt nun als ein bloßes Irgendetwas, mit dem in diesen bestimmten Formen auf dem Papiere so und so hantiert werden darf.* Nimmt man statt der äußeren Operationsformen sozusagen die inneren, versteht man die Zeichnen im Sinne von "irgendwelchen Denkobjekten", die in "gewissen" Relationen stehen, "gewisse" Verknüpfungen zulassen, nur so, daß für sie, und zwar in dem entsprechenden formalen Sinne, die Operations- und Beziehungsgesetze gelten: a + b = b + a u. dgl. — so erwächst eine neue Reihe von Begriffen. Es ist diejenige, welche zu der "formalen" Verallgemeinerung der ursprünglichen Disziplinen führt, von der oben im Texte gleich die Rede sein wird. Diese stellvertretenden Operationsbegriffe, durch welche die Zeichen zu einer Art Spielmarken werden, sind in weitesten Strecken arithmetischen Denkens und sogar Forschens ausschließlich maßgebend. Sie bedeuten eine ungeheure Erleichterung desselben, sie versetzen es aus den mühseligen Höhen der Abstraktion in die bequemen Bahnen der Anschauung, wo sich die einsichtig geleitete Phantasie innerhalb der Regelschranken frei und mit relativ geringer Anstrengung betätigen kann; etwa so wie in geregelten Spielen.

Im Zusammenhang damit wäre auch darauf hinzuweisen, wie in den rein mathematischen Disziplinen die denkökonomische Abwälzung des eigentlichen Denkens auf das stellvertretende signitive, zunächst ganz unvermerkt, zu formalen Verallgemeinerungen der ursprünglichen Gedankenreihen, ja selbst der Wissenschaften Anlaß gibt, und wie auf diese Weise, fast ohne eigens darauf gerichtete Geistesarbeit, deduktive Disziplinen von unendlich erweitertem Horizont erwachsen. Aus der Arithmetik, die ursprünglich Anzahlen- und Größenzahlenlehre ist, entsteht so, und gewissermaßen von selbst, die verallgemeinerte, formale Arithmetik, in Beziehung auf welche Anzahlen und Größen nur noch zufällige Anwendungsobjekte und nicht mehr Grundbegriffe sind. Indem die vollbewußte Reflexion hier nun ansetzt, erwächst als weitere Extension die reine Mannigfaltigkeitslehre, die der Form nach alle möglichen deduktiven Systeme in sich faßt, und für welche daher selbst das Formensystem der formalen Arithmetik einen bloßen Einzelfall darstellt.** Vgl. darüber einiges im Kapitel XI, §§ 69 und 70, S. 247 ff.

Die Analyse dieser und ähnlicher Methodentypen und die vollgültige Aufklärung ihrer Leistungen bildet vielleicht das schönste und jedenfalls das am wenigsten angebaute Feld einer Theorie der Wissenschaft, zumal aber der so wichtigen und lehrreichen Theorie der deduktiven (der im weitesten Sinne mathematischen) Methodik. Mit bloßen Allgemeinheiten, mit vager Rede von der stellvertretenden Funktion der Zeichen, von kraftersparenden Mechanismen und dergleichen ist es hierbei natürlich nicht getan; es bedarf überall tiefgehender Analysen, es muß für jede typisch verschiedene Methode die Untersuchung wirklich ausgeführt und die ökonomische Leistung der Methode nebst der genauen Erklärung dieser Leistung wirklich nachgewiesen werden.

Hat man den Sinn der hier zu lösenden Aufgabe klar erfaßt, so gewinnen auch die für das vor- und außerwissenschaftliche Denken zu lösenden denkökonomischen Probleme neues Licht und neue Form. Eine gewisse Anpassung an die äußere Natur erfordert die Selbsterhaltung; sie verlangt, sagten wir, die Fähigkeit, die Dinge in gewissem Maße richtig zu beurteilen, den Lauf der Ereignisse vorauszusehen, kausale Abfolgen richtig zu schätzenA: abzuschätzen. u. dgl. Aber wirkliche Erkenntnis von alldem vollzieht sich erst, wenn überhaupt, in der Wissenschaft. Wie können wir nun doch praktisch richtig urteilen und schließen ohne Einsicht, die im ganzen nur die Wissenschaft, die Gabe weniger, zu bieten vermag? Den praktischen Bedürfnissen des vorwissenschaftlichen Lebens dienen ja manche sehr komplizierte und leistungsfähige Ver-fahrungsweisen — man denke nur an das dekadische Zahlensystem. Sind sie auchFehlt in A. nicht einsichtig erfunden, sondern natürlich erwachsen, so muß doch die Frage erwogen werden, wie dergleichen möglich ist, wie blindmechanische Operationen im Endwert mit dem, was Einsicht verlangt, Zusammentreffen können.

Überlegungen, wie wir sieA: Überlegungen der Art, die wir. oben angedeutet haben, zeigen uns

4 Zusatz von B.

den Weg. Um die Teleologie der vor- und außerwissenschaftlichen Verfahrungsweisen aufzuklären, wird man zunächstA: einerseits. durch genaue Analyse der einschlägigen Vorstellungsund Urteilszusammenhänge, sowie der wirksamen Dispositionen zunächst das Faktische, den psychologischen Mechanismus des bezüglichen Denkverfahrens herausstellen. Die denkökonomische Leistung desselben tritt dannA: nun. im Nachweis hervor, daß dieses Verfahren indirekt und logisch einsichtig zu begründen ist als ein solches, dessen Ergebnisse — sei es notwendig, sei es mit einer gewissen, nicht zu kleinen Wahrscheinlichkeit — mit der Wahrheit Zusammentreffen müssen. Endlich wird man, um die natürliche Entstehung der denkökonomischen Maschinerie nicht als ein Wunder übrig zu behalten (oder was dasselbe: als Resultat eines eigenen Schöpfungsaktes der göttlichen Intelligenz), auf eine sorgsame Analyse der natürlichen und vorherrschenden Vorstellungsumstände und -motive des Alltagsmenschen (evtl. des Wilden, des Tieres usw.) ausgehen und auf Grund derselben nachweisen müssen, wie sich ein derart erfolgreiches Verfahren "von selbst", aus rein natürlichen Gründen ausbilden konnte und mußte.* Kein Beispiel ist geeigneter, sich das Wesen der hier zu lösenden und oben kurz angedeuteten Aufgaben klar zu machen, als das der natürlichen Zahlenreihe. Eben weil es mir so lehrreich erschien, habe ich es im XII. Kapitel meiner Philosophie der Arithmetik (I, 1891) in aller Ausführlichkeit behandelt, und zwar so, daß es die Art, wie derlei Untersuchungen nach meiner Überzeugung zu führen sind, typisch illustrieren kann.

Auf diese Weise ist also die m.E. wohlberechtigte und fruchtbare Idee der Denkökonomik mit einiger Bestimmtheit klargelegt, in allgemeinen Zügen sind die Probleme, die sie zu lösen, und die Hauptrichtungen, die sie einzuschlagen hat, angedeutet. Ihr Verhältnis zur Logik, im praktischen Sinne einer Kunstlehre wissenschaftlicher Erkenntnis, ist ohne weiteres verständlich. Offenbar bildet sie ein wichtiges Fundament dieser Kunstlehre, sie gibt ja wesentliche Behelfe zur Konstitution der Idee von technischen Methoden menschlicher Erkenntnis, zu nützlichen Spezialisierungen solcher Methoden, so wieA: sowie. zur Ableitung von Regeln für deren Abschätzung und Erfindung.

§ 55. Die Bedeutungslosigkeit der Denkökonomik für die reine Logik und Erkenntnislehre und ihr Verhältnis zur Psychologie

Soweit diese Gedanken mit denen R. Avenarius’ und E. Machs Zusammengehen, besteht keine Differenz, und ich kann ihnen freudig zustimmen. Wirklich bin ich der Überzeugung, daß man zumal E. Machs historisch-methodologischen Arbeiten eine Fülle logischer Belehrung verdankt, und dies auch dort, wo man seinen Konsequenzen nicht durch aus (oder durchaus nicht) nachgeben kann. Leider hat E. Mach gerade jene, wie mir scheinen möchte, fruchtbarsten Probleme der deduktiven Denkökonomik nicht in Angriff genommen, die ich oben in etwas kurzer, aber wohl hinreichend bestimmter Fassung zu formulieren versuchte. Und daß er dies nicht getan hat, liegt zum Teil jedenfalls an den erkenntnistheoretischen Mißdeutungen, die er seinen Untersuchungen glaubte unterlegen zu müssenA: dürfen.. Aber gerade hieran knüpft sich eine besonders starke Wirkung der Machschen Schriften. Es ist zugleich die Seite seiner Gedanken, die er mit Avenarius teilt, und um derentwillen ich gegen ihn an dieser Stelle Opposition machen muß.

Machs Lehre von der Denkökonomie, so wieA: sowie. die Avena-riussche vom kleinsten Kraftmaß, bezieht sich, wie wir sahen, auf gewisse biologische Tatsachen, und letztlich handelt es sich dabei um eine Abzweigung der Entwicklungslehre. Demgemäß ist es selbstverständlich, daß von den hierhergehörigen Forschungen zwar Licht auf die praktische Erkenntnislehre, auf die Methodologie der wissenschaftlichen Forschung, keineswegs aber auf die reine Erkenntnislehre, speziell auf die idealen Gesetze der reinen Logik geworfen werden kann. Im Gegenteil scheint es aber in den Schriften der Mach-Avenariusschen Schule auf eine Erkenntnistheorie mit denkökonomischer Begründung abgesehen zu sein. Gegen eine solche Auffassung bzw. Verwertung der Denkökonomik wendet sich natürlich das ganze Arsenal von Einwänden, das wir oben gegen den Psychologismus und Relativismus angelegt haben. Die denkökonomische Begründung der Erkenntnislehre führt ja schließlich auf die psychologische zurück, und so bedarf es hier weder der Wiederholung noch der speziellen Anpassung der Argumente. Bei Cornelius häufen sich die evidenten Unzuträglichkeiten dadurch, daß er es unternimmt, aus einem teleologischen Prinzip der psychischen Anthropologie Elementartatsachen der Psychologie herzuleiten, die ihrerseits für die Ableitung dieses Prinzips selbst schon vorausgesetzt sind, und daß er weiter mittels der Psychologie eine erkenntnistheoretische Begründung der Philosophie überhaupt anstrebt. Ich erinnere daran, daß das sogenannte Prinzip nichts weniger als ein letzterklärendes rationales Prinzip, sondern die bloße Zusammenfassung eines Komplexes von Anpassungstatsachen ist, der — ideell — einer letzten Reduktion auf Elementartatsachen und Elementargesetze harrt, gleichgültig, ob wir sie werden leisten können oder nicht.

Der Psychologie teleologische Prinzipien als "Grundgesetze" unterlegen in der Absicht, die verschiedenen psychischen Funktionen durch sie zu erklären, das eröffnet nicht die Aussicht auf eine Förderung der Psychologie. Sicherlich ist es belehrend, die teleologische Bedeutung der psychischen Funktionen und der wichtigeren psychischen Gebilde nachzuweisen; also im einzelnen nachzuweisen, wie und wodurch die tatsächlich sich bildenden Komplexionen psychischer Elemente jene Nützlichkeitsbeziehung zur Selbsterhaltung besitzen, die wir a priori erwarten. Aber das deskriptiv Gegebene in der Weise als "notwendige Folgen" solcher Prinzipien hinstellen, daß der Anschein einer wirklichen Erklärung erweckt wird, und überdies im Zusammenhange wissenschaftlicher Darstellungen, welche vorwiegend dazu bestimmt sind, die letzten Fundamente der Psychologie bloßzulegen, das kann nur Verwirrung stiften.

Ein psychologisches oder erkenntnistheoretisches Gesetz, das von einem Bestreben spricht, in dem oder jenem möglichst viel zu leisten, ist ein Unding. In der reinen Sphäre der Tatsachen gibt es kein Möglichstviel, in der Sphäre der Gesetzlichkeit kein Streben. In psychologischer Hinsicht geschieht in jedem Falle ein Bestimmtes, genau so viel und nicht mehr.

Das Tatsächliche des Ökonomieprinzips reduziert sich darauf, daß es so etwas wie Vorstellungen, Urteile und sonstige Denkerlebnisse gibt und in Verknüpfung damit auch Gefühle, die in Form der Lust gewisse Bildungsrichtungen fördern, in Form der Unlust von ihnen zurückschrecken. Es ist dann ein im allgemeinen, im Groben und Rohen, fortschreitender Prozeß der Vor-stellungs- und Urteilsbildung zu konstatieren, wonach sich aus den ursprünglich bedeutungslosen Elementen zunächst vereinzelte Erfahrungen bilden und dann weiter die Zusammenbildung der Erfahrungen zu der einenIn A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben., mehr oder minder geordneten Erfahrungseinheit erfolgt. Nach psychologischen Gesetzen erwächst, auf Grund der im Rohen übereinstimmenden ersten psychischen Kollokationen, die Vorstellung der einenIn A nicht gesperrt, jedoch großgeschrieben., für uns alle gemeinsamen Welt und der empirisch-blinde Glaube an ihr Dasein. Aber man beachte wohl: diese Welt ist nicht für jeden genau dieselbe, sie ist es nur im großen und ganzen, sie ist es nur so weit, daß die Möglichkeit gemeinsamer Vorstellungen und Handlungen praktisch zureichend gewährleistet ist. Sie ist nicht dieselbe für den gemeinen Mann und den wissenschaftlichen Forscher; jenem ist sie ein Zusammenhang von bloß ungefährer Regelmäßigkeit, durchsetzt von tausend Zufällen, diesem ist sie die von absolut strenger Gesetzlichkeit durchherrschte Natur.

Es ist nun sicherlich ein Unternehmen von großer wissenschaftlicher Bedeutung, die psychologischen Wege und Mittel nachzuweisen, durch welche sich diese für die Bedürfnisse des praktischen Lebens (für die der Selbsterhaltung) hinreichende Idee einer Welt als Gegenstand der Erfahrung entwickelt und festsetzt; in weiterer Folge die psychologischen Wege und Mittel nachzuweisen, durch welche sich im Geiste der wissenschaftlichen Forscher und Forschergenerationen die objektiv angemessene Idee einer streng gesetzlichen Erfahrungseinheit mit ihrem sich immerfort bereichernden wissenschaftlichen Inhalt bildet. Aber erkenntnistheoretisch ist diese ganze Untersuchung gleichgültig. Höchstens indirekt kann sie der Erkenntnistheorie von Nutzen sein, nämlich zu Zwecken der Kritik erkenntnistheoretischer Vorurteile, bei welchen es auf die psychologischen Motive ja durchaus ankommt. Die Frage ist nicht, wie Erfahrung, die naive oder wissenschaftliche, entsteht, sondern welchen Inhalt sie haben muß, um objektiv gültige Erfahrung zu sein; die Frage ist, welches die idealen Elemente und Gesetze sind, die solche objektive Gültigkeit realer Erkenntnis (und allgemeiner: von Erkenntnis überhaupt) fundieren, und wie diese Leistung eigentlich zu verstehen ist. Mit anderen Worten: wir interessieren uns nicht für das Werden und die Veränderung der Weltvorstellung, sondern für das objektive Recht, mit dem sich die Weltvorstellung der Wissenschaft jeder anderen gegenüberstellt, mit dem sie ihre Welt als die objektivwahre behauptet. Die Psychologie will einsichtig erklären, wie die Welt Vorstellungen sich bilden; die Weltwissenschaft (als Inbegriff der verschiedenen Realwissenschaften) einsichtig erkennen, was realiter, als wahre und wirkliche Welt, ist; die Erkenntnistheorie aber willFehlt in A. einsichtig verstehen, was die Möglichkeit einsichtiger Erkenntnis des Realen, und was die Möglichkeit von Wissenschaft und Erkenntnis überhaupt in objektiv-idealer Hinsicht ausmacht.

§ 56. Fortsetzung. Das ὕστερον πρότερον denkökonomischer15 Begründung des rein Logischen

Der Schein, daß wir es beim Sparsamkeitsprinzip mit einem, sei es erkenntnistheoretischen, sei es psychologischen Prinzip zu tun haben, liegt der Hauptsache nachA: hauptsächlich. an der Verwechslung des tatsächlich Gegebenen mit dem logisch Idealen, das ihm unvermerkt supponiert wird. Wir erkennen es einsichtig als höchstes Ziel und als ideal berechtigte Tendenz aller über bloße Beschreibung hinausgehenden Erklärung, daß sie die an sich "blinden" Tatsachen (zunächst die eines begrifflich umschriebenen Gebietes) unter möglichst allgemeine Gesetze ordnet und in diesem Sinne möglichst rationell zusammenfaßt. Hier ist das "möglichst viel" der "zusammenfassenden" Leistung völlig klar: es ist das Ideal der durchgreifenden und allbegreifenden Rationalität. Ordnet sich alles Tatsächliche nach Gesetzen, so muß es einen kleinsten Inbegriff möglichst allgemeiner und deduktiv voneinander unabhängiger Gesetze geben, aus welchen sich alle übrigen Gesetze in reiner Deduktion ableitenA: auf welche sich alle übrigen Gesetze in reiner Deduktion zurückführen. lassen. Diese "Grundgesetze" sind dann jene möglichst viel befassenden und leistenden Gesetze, ihre Erkenntnis verschafft die absolut größte Einsicht in das Gebiet, sie gestattet, in ihm alles zu erklären, was einer Erklärung überhaupt fähig ist (wobei allerdings, in idealisierender Weise, die schrankenlose Fähigkeit der Deduktion und Subsumtion vorausgesetzt wird). So erklären oder befassen die geometrischen Axiome als Grundgesetze die Gesamtheit der räumlichen Tatsachen; jede allgemeine Raumwahrheit (m.a.W. jede geometrische) erfährt durch sie eine evidente Reduktion auf ihre letzterklärenden Gründe.

Dieses Ziel bzw. Prinzip größtmöglicher Rationalität erkennen wir also einsichtig als das höchste der rationalen Wissenschaften. Es ist evident, daß die Erkenntnis allgemeinerer Gesetze als jener, die wir jeweils schon besitzen, wirklich das Bessere wäre, sofern sie eben auf tiefere und weiter umfassende Gründe zurückleitetenA: zurückleitete.. Aber dieses Prinzip ist offenbar kein biologisches und bloß denkökonomisches, sondern vielmehr ein rein ideales und zum Überfluß ein normatives Prinzip. In Tatsachen des psychischen Lebens und des Gemeinschaftslebens der Menschheit kann es also in keiner Weise aufgelöst oder umgedeutet werden. Die Tendenz größtmöglicher Rationalität mit einer biologischen Anpassungstendenz zu identifizieren oder aus ihr abzuleiten, ihr dann noch die Funktion einer psychischen Grundkraft aufzuladen — das ist eine Summe von Verirrungen, die nur in den psychologistischen Mißdeutungen der logischen Gesetze und in deren Auffassung als Naturgesetze ihre Parallele findet. Zu sagen, unser psychisches Leben werde durch dieses Prinzip faktisch regiert, das widerspricht auch hier der offenkundigen Wahrheit; unser faktisches Denken läuft eben nicht nach Idealen — als ob überhaupt Ideale so etwas wie Naturkräfte wären.

Die ideale Tendenz des logischen Denkens als solchen geht auf Rationalität. Der Denkökonom (sit venia verbo) macht daraus eine durchgreifende reale Tendenz des menschlichen Denkens, begründet sie durch das vage Prinzip der KraftersparnisA: Kraftersparung. und letztlich durch Anpassung; und nun meint er, die Norm, daß wir rational denken sollen, und meint er überhaupt, den objektiven Wert und Sinn rationaler Wissenschaft aufgeklärt zu haben. Gewiß ist die Rede von der Ökonomie im Denken, von denkökonomischer "Zusammenfassung" von Tatsachen durch allgemeine Sätze, von niederen Allgemeinheiten durch höhere u. dgl. eine wohlberechtigte. Aber sie gewinnt ihre Berechtigung nur durch Vergleich des tatsächlichen Denkens mit der einsichtig erkannten idealen Norm, die sonach das πρότερον τῇ φύσει ist. Die ideale Geltung der Norm ist die Voraussetzung jeder sinnvollen Rede von Denkökonomie, also ist sie kein mögliches Erklärungsergebnis der Lehre von dieser Ökonomie. Wir messen das empirische Denken am idealen und konstatieren, daß ersteres in einigem Umfange faktisch so verläuft, als ob es von den idealen Prinzipien einsichtig geleitet wäre. Demgemäß sprechen wir mit Recht von einer natürlichen Teleologie unserer geistigen Organisation als von einer Einrichtung derselben, der zufolge unser Vorstellen und Urteilen im großen und ganzen (nämlich für die durchschnittliche Lebensförderung genügend) so verläuft, als ob es logisch geregelt wäre. Die wenigen Fälle wirklich einsichtigen Denkens ausgenommen, trägt es in sich selbst nicht die Gewähr logischer Gültigkeit, es ist nicht in sich einsichtig oder indirekt von vorgängiger Einsicht zweckvoll geordnet. Aber es ist faktisch von einer gewissen scheinbaren Rationalität, es ist so, daß wir Denkökonomen, über die Wege des empirischen Denkens reflektierend, einsichtig nachweisen können, daß solche Denkwege überhaupt Ergebnisse liefern müssen, die mit den streng logischen — im rohen Durchschnitt — Zusammentreffen; wie wir dies oben erörtert haben.

Man erkennt also das ὕστερον πρότερον. Vor aller Denkökonomik müssen wir das Ideal schon kennen, wir müssen wissen, was die Wissenschaft idealiter erstrebt, was gesetzliche Zusammenhänge, was Grundgesetze und abgeleitete Gesetze u. dgl. idealiter sind und leisten, ehe wir die denkökonomische Funktion ihrer Erkenntnis erörtern und abschätzen können. Allerdings haben wir gewisse vage Begriffe von diesen Ideen schon vor ihrer wissenschaftlichen Erforschung, und so mag denn auch von Denkökonomie die Rede sein vor dem Ausbau einer Wissenschaft der reinen Logik. Aber die wesentliche Sachlage wird dadurch nicht geändert, an sich geht die reine Logik aller Denkökonomik vorher, und es bleibt Widersinn, jene auf diese zu gründen.

Noch eines. Selbstverständlich verläuft auch alles wissenschaftliche Erklären und Begreifen nach psychologischen Gesetzen und im Sinne der Denkökonomie. Aber es ist ein Irrtum, wenn man darum glaubt, den Unterschied zwischen logischem und natürlichem Denken nivellieren, die wissenschaftliche Tätigkeit als eine bloße "Fortsetzung" der natürlichen und blinden darstellen zu können. Man mag immerhin, obschon dies nicht ganz unbedenklich ist, von "natürlichen" wie von logischen Theorien sprechen. Dann darf man aber nicht übersehen, daß die logische Theorie im wahren Sinne keineswegs dasselbe tut, nur in einiger Steigerung tut, wie die natürliche. Sie hat nicht dasselbe Ziel — oder vielmehr: sie hat ein Ziel, und in die "natürliche Theorie" tragen wir es erst hinein. An den logischen und eigentlich so zu nennenden Theorien messen wir, wie oben gezeigt, gewisse natürliche (und das heißt hier uneinsichtige) Denkprozesse, die wir natürliche Theorien nur darum nennen, weil sie psychologische Ergebnisse zeitigen, die so sind, als ob sie logisch einsichtigem Denken entsprossen, als ob sie wirklich Theorien wären. Unwillkürlich verfallen wir mit dieser Benennung aber in den Fehler, die wesentlichen Eigenheiten wirklicher Theorien solchen "natürlichen" zu unterschieben, das eigentlich Theoretische sozusagen in sie hineinzuschauen. Als psychische Verläufe mögen diese Analoga von Theorien mit den wirklichen Theorien noch so viel Ähnlichkeit haben, sie bleiben doch grundverschieden. Die logische Theorie ist Theorie durch den idealen Notwendigkeitszusammenhang, der in ihr waltet; während, was hier natürliche Theorie heißt, ein Verlauf zufälliger Vorstellungen oder Überzeugungen ist, ohne einsichtigen Zusammenhang, ohne bindende Kraft, aber praktisch von einer durchschnittlichen Nützlichkeit, als ob so etwas wie Theorie zugrunde läge.

Die Irrtümer dieser denkökonomischen Richtung entspringen schließlich daraus, daß das Erkenntnisinteresse ihrer Vertreter — wie der Psychologisten überhaupt — an der empirischen Seite der Wissenschaft hängen bleibt. Sie sehen gewissermaßen vor lauter Bäumen den Wald nicht. Sie mühen sich mit der Wissenschaft als biologischer Erscheinung und merken nicht, daß sie das erkenntnistheoretische Problem der Wissenschaft als einer idealen Einheit objektiver Wahrheit gar nicht berühren. Die vergangene Erkenntnistheorie, die im Idealen noch ein Problem sah, gilt ihnen als Verirrung, die nur noch in einer Weise ein würdiger Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung sein könne: nämlich für den Nachweis ihrer relativ denkökonomischen Funktion auf einer tieferen Entwicklungsstufe der Philosophie. Aber je mehr eine solche Schätzung der erkenntnistheoretischen Hauptprobleme und Hauptrichtungen zur philosophischen Mode zu werden droht, um so mehr muß dieIn A folgt: nüchterne. Forschung gegen sie Einspruch erheben, und um so mehr tut es zugleich not, durch eine möglichst vielseitige Erörterung der prinzipiellen Streitfragen, und zumal durch eine möglichst tiefgehende Analyse der grundverschiedenen Denkrichtungen in den Sphären des Realen und Idealen, jene einsichtige Klärung anzubahnen, welche die Voraussetzung für eine endgültige Fundamentierung der Philosophie ist. Und dazu hofft auch die vorhegende Schrift ein Kleines beizutragen.

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First Edition
(1900) "Das Princip der Denkökonomie und die Logik", in: Husserl Edmund, Logische Untersuchungen. Erster Theil, Halle (Saale), Niemeyer, pp.182-210.