Der Psychologismus, seine Argumente und seine Stellungnahme zu den üblichen Gegenargumenten

Edmund Husserl

pp. 63-71


§ 17. Die Streitfrage, ob die wesentlichen theoretischen Fundamente der normativen Logik in der Psychologie liegen

Machen wir von den allgemeinen Feststellungen des letzten Kapitels Anwendung auf die Logik als normative Disziplin, so erhebt sich als Erstes und Wichtigstes die Frage: Welche theoretischen Wissenschaften liefern die wesentlichen Fundamente der Wissenschaftslehre? Und daran fügen wir sogleich die weitere Frage: Ist es richtig, daß die theoretischen Wahrheiten, die wir im Rahmen der traditionellen und neueren Logik behandelt finden, und vor allem die zu ihrem wesentlichen Fundament gehörigen, ihre theoretische Stelle innerhalb der bereits abgegrenzten und selbständig entwickelten Wissenschaften besitzen?

Hier stoßen wir auf die Streitfrage nach dem Verhältnis zwischen Psychologie und Logik; denn auf die angeregten Fragen hat eine, gerade in unserer Zeit herrschende Richtung die Antwort fertig zur Hand: Die wesentlichen theoretischen Fundamente liegen in der Psychologie; in deren Gebiet gehören ihrem theoretischen Gehalt nach die Sätze, die der Logik ihr charakteristisches Gepräge geben. Die Logik verhält sich zur Psychologie wie irgendein Zweig der chemischen Technologie zur Chemie, wie die Feldmeßkunst zur Geometrie u. dgl. Zur Abgrenzung einer neuen theoretischen Wissenschaft, zumal einer solchen, die in einem engeren und prägnanteren Sinne den Namen Logik verdienen sollte, besteht für diese Richtung kein Anlaß. Ja nicht selten spricht man so, als gäbe die Psychologie das alleinige und ausreichende theoretische Fundament für die logische Kunstlehre. So lesen wir in Mills Streitschrift gegen Hamilton: "Die Logik ist nicht eine von der Psychologie gesonderte und mit ihr koordinierte Wissenschaft. Sofern sie überhaupt Wissenschaft ist, ist sie ein Teil oder Zweig der Psychologie, sich von ihr einerseits unterscheidend wie der Teil vom Ganzen und andererseits wie die Kunst von der Wissenschaft. Ihre theoretischen Grundlagen verdankt sie sämtlichA: gänzlich. der Psychologie, und sie schließt soviel von dieser Wissenschaft ein, als nötig ist, die Regeln der Kunst zu begründen."* J. St. Mill, An Examination of Sir William Hamilton's Philosophy5, S. 461 f. Nach Lipps scheint es sogar, als wäre die Logik der Psychologie als ein bloßer Bestandteil einzuordnen; denn er sagt: "Eben daß die Logik eine Sonderdisziplin der Psychologie ist, scheidet beide genügend deutlich voneinander."** Lipps, Grundzüge der Logik (1893), § 3.

§ 18. Die Beweisführung der Psychologisten*** Ich gebrauche die Ausdrücke Psychologist, Psychologismus u. dgl. ohne jede abschätzende "Färbung", ähnlich wie Stumpf in seiner Schrift "Psychologie und Erkenntnistheorie".

Fragen wir nach der Berechtigung derartiger Ansichten, so bietet sich uns eine höchst plausible Argumentation dar, die jeden weiteren Streit von vornherein abzuschneiden scheint. Wie immer man die logische Kunstlehre definieren mag — ob als Kunstlehre vom Denken, Urteilen, Schließen, Erkennen, Beweisen, Wissen, von den Verstandesrichtungen beim Verfolge der Wahrheit, bei der Schätzung von Beweisgründen usf. — immer finden wir psychische Tätigkeiten oder Produkte als die Objekte praktischer Regelung bezeichnet. Und wie nun überhaupt kunstmäßige Bearbeitung eines Stoffes die Erkenntnis seiner Beschaffenheiten voraussetzt, so wird es sich auch hier, wo es sich speziell um einen psychologischen Stoff handelt, verhalten. Die wissenschaftliche Erforschung der Regeln, nach denen er zu bearbeiten ist, wird selbstverständlich auf die wissenschaftliche Erforschung dieser Beschaffenheiten zurückführen: das theoretische Fundament für den Aufbau einer logischen Kunstlehre liefert also die Psychologie, und näher die Psychologie der Erkenntnis.* "Die Logik ist eine psychologische Disziplin, so gewiß das Erkennen nur in der Psyche vorkommt und das Denken, das sich in ihm vollendet, ein psychisches Geschehen ist" (Lipps, a. a. O.). Dies bestätigt auch jeder Blick auf den Gehalt der logischen Literatur. Wovon ist da beständig die Rede? Von Begriffen, Urteilen, Schlüssen, Deduktionen, Induktionen, Definitionen, Klassifikationen usw. — alles Psychologie, nur ausgewählt und geordnet nach den normativen und praktischen Gesichtspunkten. Man möge der reinen Logik noch so enge Grenzen ziehen, das Psychologische wird man nicht fernhalten können. Es steckt schon in den Begriffen, welche für die logischen Gesetze konstitutiv sind, wie z.B. Wahrheit und Falschheit, Bejahung und Verneinung, Allgemeinheit und Besonderheit, Grund und Folge, u.dgl.

§ 19. Die gewöhnlichen Argumente der Gegenpartei und ihre psychologistische Lösung

Merkwürdig genug glaubt man von der Gegenseite die scharfe Trennung beider Disziplinen gerade in Hinblick auf den normativen Charakter der Logik begründen zu können. Die Psychologie, sagt man, betrachtet das Denken, wie es ist, die Logik, wie es sein soll. Die erstere hat es mit den Naturgesetzen, die letztere mit den Normalgesetzen des Denkens zu tun. So heißt es in Jäsches Bearbeitung der Kantschen Vorlesungen über Logik:** Einleitung, I, Begriff der Logik. Kants Werke, ed. Hartenstein, 1867, VIII, S. 14. "Einige Logiker setzen zwar in der Logik psychologische Prinzipien voraus. Dergleichen Prinzipien aber in die Logik zu bringen, ist ebenso ungereimt, als Moral vom Leben herzunehmen. Nehmen wir die Prinzipien aus der Psychologie, d.h. aus den Beobachtungen über unseren Verstand, so würden wir bloß sehen, wie das Denken vor sich geht, und wie es ist unter den mancherlei subjektiven Hindernissen und Bedingungen; dieses würde aber nur zur Erkenntnis bloß zufälliger Gesetze führen. In der Logik ist aber die Frage nicht nach zufälligen, sondern nach notwendigen Regeln — nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen. Die Regeln der Logik müssen daher nicht vom zufälligen, sondern vom notwendigen Vernunftgebrauche hergenommen sein, den man ohne alle Psychologie bei sich findet. Wir wollen in der Logik nicht wissen: wie der Verstand ist und denkt, und wie er bisher im Denken verfahren ist, sondern: wie er im Denken verfahren sollte. Sie soll uns den richtigen, d.h. den mit sich selbst übereinstimmenden Gebrauch des Verstandes lehren." Eine ähnliche Position nimmt Herbart ein, indem er gegen die Logik seiner Zeit und "die psychologisch sein sollenden Erzählungen vom Verstande und der Vernunft, mit denen sie anhebt", einwendet, es sei dies ein Fehler gerade so arg, wie der einer Sittenlehre, welche mit der Naturgeschichte der menschlichen Neigungen, Triebe und Schwachheiten beginnen wollte, und indem er zur Begründung des Unterschiedes auf den normativen Charakter der Logik, wie Ethik hinweist.* Herbart, Psychologie als Wissenschaft, II, § 119. (Originalausgabe, II, S. 173.)

Derartige Argumentationen setzen die psychologistischen Logiker in keinerlei Verlegenheit. Sie antworten: der notwendige Verstandesgebrauch ist eben auch ein Verstandesgebrauch und gehört mit dem Verstande selbst in die Psychologie. Das Denken, wie es sein soll, ist ein bloßer Spezialfall des Denkens, wie es ist. Gewiß hat die Psychologie die Naturgesetze des Denkens zu erforschen, also die Gesetze für alle Urteile überhaupt, ob richtige oder falsche; aber ungereimt wäre es, diesen Satz so zu interpretieren, als gehörten nur solche Gesetze in die Psychologie, welche sich in umfassendster Allgemeinheit auf alle Urteile überhaupt beziehen, während Spezialgesetze des Urteilens, wie die Gesetze des richtigen Urteilens, aus ihrem Bereich ausgeschlossen werden müßten.** Vgl. z.B. Mill, An Examination5, S. 459 f. Oder ist die Meinung eine andere? Will man leugnen, daß die Normalgesetze des Denkens den Charakter solcher psychologischen Spezialgesetze haben? Aber auch dies geht nicht an. Normalgesetze des Denkens wollen, heißt es, nur angeben, wie man zu verfahren habe, vorausgesetzt, daß man richtig denken will. "Wir denken richtig, im materialen Sinne, wenn wir die Dinge denken, wie sie sind. Aber die Dinge sind so oder so, sicher und unzweifelhaft, dies heißt in unserem Munde, wir können sie der Natur unseres Geistes zufolge nicht anders als eben auf diese Weise denken. Denn es braucht ja nicht wiederholt zu werden, was oft genug gesagt worden ist, daß selbstverständlich kein Ding, so wie es ist, abgesehen von der Art, wie wir es denken müssen, von uns gedacht werden oder Gegenstand unseres Erkennens sein kann, daß also, wer seine Gedanken von den Dingen mit den Dingen selbst vergleicht, in der Tat nur sein zufälliges, von Gewohnheit, Tradition, Neigung und Abneigung beeinflußtes Denken an demjenigen Denken messen kann, das von solchenA: seinen. Einflüssen frei, keiner Stimme gehorcht, als der der eigenen Gesetzmäßigkeit."

"Dann sind aber die Regeln, nach denen man verfahren muß, um richtig zu denken, nichts anderes als Regeln, nach denen man verfahren muß, um so zu denken, wie es die Eigenart des Denkens, seine besondere Gesetzmäßigkeit, verlangt, kürzer ausgedrückt, sie sind identisch mit den Naturgesetzen des Denkens selbst. Die Logik ist Physik des Denkens oder sie ist überhaupt nichts."* Lipps, "Die Aufgabe der Erkenntnistheorie", Philos. Monatshefte, XVI (1880), S. 530 f.

Vielleicht sagt man von antipsychologistischer Seite:** Vgl. z.B. Hamiltons Lectures, III, S. 78 (zitiert von Mill, a. a. O., S. 460); Drobisch, Neue Darstellung der Logik4, §2 (cf. das Zitat oben S. 36). Vgl. hier auchZusatz von B. B. Erdmann, Logik, I, S. 18. Allerdings gehören die verschiedenen Gattungen von Vorstellungen, Urteilen, Schlüssen usw. als psychische Phänomene und Dispositionen auch in die Psychologie hinein; aber die Psychologie hat in Ansehung derselben eine verschiedene Aufgabe wie die Logik. Beide erforschen die Gesetze dieser Betätigungen; aber "Gesetz" bedeutet für beide etwas total Verschiedenes. Die Aufgabe der Psychologie ist es, den realen Zusammenhang der Bewußtseinsvorgänge untereinander, sowie mit den zugehörigen psychischen Dispositionen und den korrespondierendenA: korrelaten. Vorgängen im körperlichen Organismus gesetzlich zu erforschen. Gesetz bedeutet hier eine zusammenfassende Formel für notwendige und ausnahmslose Verknüpfung in Koexistenz und Sukzession. Der Zusammenhang ist ein kausaler. Ganz anders geartet ist die Aufgabe der Logik. Nicht nach kausalen Ursprüngen und Folgen der intellektuellen Betätigungen fragt sie, sondern nach ihrem Wahrheitsgehalt; sie fragt, wie solche Betätigungen beschaffensein und verlaufen sollen, damit die resultierenden Urteile wahr seien. Richtige Urteile und falsche, einsichtige und blinde, kommen und gehen nach Naturgesetzen, sie haben ihre kausalen Antezedenzien und Konsequenzen wie alle psychischen Phänomene; den Logiker aber interessieren nicht diese natürlichen Zusammenhänge, sondern er sucht ideale, die er nicht immer, ja nur ausnahmsweise im faktischen Verlaufe des Denkens verwirklicht findet. Nicht eine Physik, sondern eine Ethik des Denkens ist sein Ziel. Mit Recht betont daher Sigwart: In der psychologischen Betrachtung des Denkens hat "der Gegensatz von wahr und falsch ebensowenig eine Rolle ... wie der Gegensatz von gut und böse im menschlichen Handeln ein psychologischer ist".* Logik, I2, S. 10. Freilich bewegt sich (wie wir im VII. Kapitel sehen werden) Sigwarts eigene Behandlungsweise der Logik durchaus in psychologistischer Richtung.

Mit solchen Halbheiten — so werden die Psychologisten antworten — können wir uns nicht zufrieden geben. Gewiß hat die Logik eine ganz andere Aufgabe als die Psychologie, wer wird dies auch leugnen? Sie ist eben Technologie der Erkenntnis; aber wie könnte sie dann von der Frage nach den kausalen Zusammenhängen absehen, wie könnte sie nach idealen Zusammenhängen suchen, ohne die natürlichen zu studieren? "Als ob nicht jedes Sollen auf ein Sein sich gründen, jede Ethik sich zugleich als Physik ausweisen müßte."** Lipps, "Die Aufgabe der Erkenntnistheorie", a. a. O., S. 529. "Die Frage, was man tun solle, ist immer zurückführbar auf die Frage, was man tun müsse, wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden solle; und diese Frage wiederum ist gleichbedeutend mit der Frage, wie das Ziel tatsächlich erreicht werde."*** Lipps, Grundzüge der Logik, § 1. Daß für die Psychologie im Unterschied zur Logik der Gegensatz von wahr und falsch nicht in Betracht komme, "kann nicht heißen, daß die Psychologie diese beiden voneinander verschiedenen psychischen Tatbestände als gleich ausgebe, sondern nur, daß sie beide in gleicher Weise verständlich mache".**** Lipps, a. a. O., § 3, S. 2. In theoretischer Beziehung verhält sich also die Logik zur Psychologie wie der Teil zum Ganzen. Ihr Hauptziel ist es zumal, Sätze der Form herzustellen: Gerade so und nicht anders müssen sich — allgemein oder unter bestimmtcharakterisierten Umständen — die intellektuellen Betätigungen formen, anordnen und zusammenschließen, damit die resultierenden Urteile den Charakter der Evidenz, der Erkenntnis im prägnanten Sinne des Wortes erlangen. Die kausale Beziehung ist hier greifbar. Der psychologische Charakter der Evidenz ist ein kausaler Erfolg gewisser Antezedenzien. Wie beschaffener? Dies zu erforschen ist eben die Aufgabe.* Dieser Gesichtspunkt tritt mit steigender Deutlichkeit in den Werken von Mill, Sigwart, Wundt, Höfler-Meinong hervor. Vgl. darüber die Zitate und Kritiken im VIII. Kap., § 49 f.

Nicht besser glückt es dem folgenden und oft wiederholten Argument, die psychologistische Partei ins Schwanken zu bringen: Die Logik, sagt man, kann auf der Psychologie ebensowenig ruhen, wie auf irgendeiner anderen Wissenschaft; denn eine jede ist Wissenschaft nur durch Harmonie mit den Regeln der Logik, sie setzt die Gültigkeit dieser Regeln schon voraus. Es wäre darnach ein Zirkel, Logik allererst auf Psychologie gründen zu wollen.** Vgl. Lotzes Logik2, § 332, S. 543-44. Natorp, "Über objektive und subjektive Begründung der Erkenntnis", Philos. Monatshefte, XXIII, S. 264. Erdmanns Logik, I, S. 18. Vgl. dagegen Stumpf, "Psychologie und Erkenntnistheorie", S. 5. (Abhandlungen der k. bayer. Akad. d. Wiss., I. Kl., XIX. Bd., II. Abt., S. 469. Daß bei Stumpf von Erkenntnistheorie, nicht von Logik die Rede ist, macht offenbar keinen wesentlichen Unterschied.)

Man wird von der Gegenseite antworten: Daß diese Argumentation nicht richtig sein kann, erhellt schon daraus, daß aus ihr die Unmöglichkeit der Logik überhaupt folgen würde. Da die Logik als Wissenschaft selbst logisch verfahren muß, so verfiele sie ja demselben Zirkel; die Triftigkeit der Regeln, die sie voraussetzt, müßte sie zugleich begründen.

Aber sehen wir näher zu, worin derIn A folgt: urgierte. Zirkel eigentlich bestehen soll. Darin, daß die Psychologie die logischen Gesetze als gültig voraussetze? Aber man achte auf die Äquivokation im Begriff der Voraussetzung. Eine Wissenschaft setzt die Gültigkeit gewisser Regeln voraus, das kann heißen: sie sind Prämissen für ihre Begründungen; es kann aber auch heißen: sie sind Regeln, denen gemäß die Wissenschaft verfahren muß, um überhaupt Wissenschaft zu sein. Beides wirft das Argument zusammen; nach logischen Regeln schließen und aus ihnen schließen, gilt ihm als dasselbe; denn nur, wenn aus ihnen geschlossen würde, bestände der Zirkel. Aber wie so mancher Künstler schöne Werke schafft, ohne von Ästhetik das Geringste zu wissen, so kann ein Forscher Beweise aufbauen, ohne je auf die Logik zu rekurrieren; also können logische Gesetze nicht deren Prämissen gewesen sein. Und was von einzelnen Beweisen gilt, das gilt auch von ganzen Wissenschaften.

§ 20. Eine Lücke in der Beweisführung der Psychologisten

Unleugbar erscheinen die Antipsychologisten mit diesen und verwandten Argumentationen im Nachteil. Nicht wenigen gilt der Streit für zweifellos entschieden, sie halten die Entgegnungen der psychologistischen Partei für durchaus schlagend. Immerhin möchte hier eines die philosophische Verwunderung reizen, nämlich der Umstand, daß überhaupt ein Streit bestand und noch fortbesteht, und daß dieselben Argumentationen immer wieder vorgebracht und deren Widerlegungen nicht als bindend anerkannt wurden. Läge wirklich alles plan und klar, wie die psycho-logistische Richtung versichert, dann wäre diese Sachlage nicht recht verständlich, zumal doch vorurteilslose, ernste und scharfsinnige Denker auch auf der Gegenseite stehen. Ob nicht die Wahrheit wieder einmal in der rechten Mitte liegt, ob nicht jede der Parteien ein gutes Stück der Wahrheit erkannt hat und sich nur unfähig zeigte, es in begrifflicher Schärfe abzugrenzen und eben als bloßes Stück der ganzen zu begreifen? Ob nicht doch in den Argumenten der Antipsychologisten — bei manchen Unrichtigkeiten oder Unklarheiten im einzelnen, welche die Handhaben zu den Widerlegungen darbotenA: bei mancher Unrichtigkeit im Einzelnen, welche durch die Widerlegungen unzweifelhaft zutage tritt. — ein ungelöster Rest übrig bleibt, ob ihnen nicht doch eine wahre Kraft innewohnt, die sich bei vorurteilsloser Erwägung immer wieder aufdrängt? Ich für meinen Teil möchte diese Frage bejahen; es will mir sogar scheinen, daß der wichtigere Teil der Wahrheit auf antipsycho-logistischer Seite liegt, nur daß die entscheidenden Gedanken nicht gehörig herausgearbeitet und durch mancherlei Untriftigkeiten getrübt sind.

Kehren wir zu der oben aufgeworfenen Frage nach den wesentlichen theoretischen Fundamenten der normativen Logik zurück. Ist sie durch die Argumentation der Psychologisten wirklich erledigt? Hier bemerkenA: merken. wir sofort einen schwachen Punkt. Erwiesen ist durch das Argument nur das eine, daß die Psychologie an der Fundierung der Logik mitbeteiligt ist, nicht aber, daß sie an ihr allein oder auch nur vorzugsweise beteiligt ist, nicht, daß sie ihr das wesentliche Fundament in dem von uns (§ 16) definierten Sinn beistellt. Die Möglichkeit bleibt offen, daß eine andere Wissenschaft und vielleicht in ungleich bedeutsamerer Weise zu ihrer Fundierung beitrüge. Und hier mag die Stelle sein für jene "reine Logik", welche nach der anderen Partei ihr von aller Psychologie unabhängiges Dasein führen soll, als eine natürlich begrenzte, in sich geschlossene Wissenschaft. Wir gestehen gerne zu, es entspricht, was von den Kantianern und Herbartia-nern unter diesem Titel bearbeitet worden ist, nicht ganz dem Charakter, der ihr nach der angeregten Vermutung eignen müßte. Ist doch bei ihnen allerwege die Rede von normativen Gesetzen des Denkens, im besonderen der Begriffsbildung, der Urteilsbildung usw.; Beweis genug, möchte man sagen, daß der Stoff weder ein theoretischer, noch ein der Psychologie fremder ist. Aber dieses Bedenken verlöre seine Kraft, wenn sich bei näherer Untersuchung die Vermutung bestätigte, die sich uns oben (§ 13, S. 38) aufdrängte, nämlich, daß jene Schulen zwar in der Definition und im Aufbau der intendierten Disziplin nicht glücklich warenFehlt in A., aber ihr doch insofern nahe kamen, als sie eine Fülle theoretisch zusammengehöriger Wahrheiten in der traditionellen Logik bemerkten, die sich weder in die Psychologie, noch in andere Einzelwissenschaften einreihen und somit ein eigenes Reich der Wahrheit ahnen ließen. Und waren es gerade diejenigen Wahrheiten, auf welche alle logische Regelung letztlich bezogen ist, und an welche man daher, wo von logischen Wahrheiten die Rede war, vorzugsweise denken mußte, dann konnte man leicht dazu kommen, in ihnen das Wesentliche der ganzen Logik zu sehen und ihre theoretische Einheit mit dem Namen "reine Logik" zu benennen. Daß hiermit die wahre Sachlage gekennzeichnet ist, hoffe ich in der Tat nachweisen zu können.

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